Schwebende Lasten
Im Mittelpunkt des Romans steht die Geschichte der Blumenbinderin und Kranfahrerin Hanna Krause, die zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei verlorene Weltkriege, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer, gute und schlechte Zeiten erlebt hat. Sie kam nie aus Magdeburg heraus, gebar sieben Kinder und konnte zwei nicht begraben. Hanna Krause wurde unter einer Kirche verschüttet, jeglicher Güter beraubt und trug ihren einbeinigen und im Alter stummen Mann Karl auf dem Rücken durch die Welt. Später, nachdem der Blumenladen im Knattergebirge längst Geschichte war, hatte sie von einem Kran im Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann“ einen guten Überblick auf die Beziehungen der Menschen zwölf Meter unter sich. Sie verstarb rechtzeitig, bevor sie die Welt nicht mehr verstand.
Die fünf Kinder Hanna Krauses, die das Kindesalter überlebten, Barbara, Elisabeth, Selma, Kristina und Judith, erzählen neben der Geschichte ihrer Mutter auch ihre eigene. Elbtöchter hat man sie genannt, als sie jung waren: Sie schwammen durch die Elbe, als das wegen der Verschmutzung schon niemand mehr machte. Der Fluss ist Anlass der Erinnerung: Die Jetztzeit des Romans spielt in den fünf Tagen zwischen Mittwoch, den 5. Juni 2013, als der Pegel der Elbe so stark ansteigt wie noch nie in der Geschichte der Stadt, bis zum Rückgang des Wassers am 10. Juni 2013.
Die Erinnerungen der Töchter sind trügerisch, jede hat eine andere. Warum hat der Vater 1942 sein rechtes Bein im Werk gelassen? Warum sind sie nicht in den Westen gezogen, um von Krupp die Abfindung zu kassieren? Wie war das mit der Liebe ihrer Eltern? Auch über die Bombenangriffe, in denen die Familie alles verlor, so den Bruder, sind sie sich uneins, auch über die wechselnden politischen Verhältnisse, die ihr Leben in der Stadt Magdeburg auf unterschiedliche Weise bestimmten, über die Haft der jüngsten Schwester, Judith, über den Selbstmord von Elisabeths Tochter, die Flucht Barbaras vor der Familie in die Karriere, über die Flucht Selmas in die Isolation und über Kristina, die es allen recht machen will und immer zu kurz kommt. Jede der Beteiligten erinnert sich anders, jede kommt zu Wort, ebenso wie Dokumente, Tagebücher, Tonkassetten, Schmalfilme. Es gibt Rede und Gegenrede, Widersprüche und Widerstand gegen das Erzählte. Die Verschiedenheit der Erinnerungen angesichts einer Bedrohung ist das Thema in „Schwebende Lasten“. Nur die Mythen über die Mutter, auf die sich alle einigen können, kommen als auktoriale Erzähleinschübe (Blumenkapitel) daher. Sie werden zusammengehalten durch das Blumenstillleben von Ambrosius Bosschaert, das im Mauritshuis in Den Haag hängt. Der Name jeder einzelnen Blume daraus überschreibt jeweils ein Kapitel.
In der Zeit des Stipendiums arbeitete die Autorin zweisträngig. Zum einen schrieb sie weiter am Buch, nutzte aber auch einen Teil der Zeit, um im Landeshauptarchiv über die Geschichte des Krupp-Gruson- bzw. Thälmannwerks zu recherchieren, in dem ein Teil des Romans spielt. Sie führte außerdem Interviews mit ehemals dort Beschäftigten.
Der Roman soll 2016 erscheinen.