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Nadine Kradorf

Bildende Künstlerin

Arbeitsstipendium August 2020 – Januar 2021

Frische Luft

Die Künstlerin plante ein Foto aus dem Jahr 1885, welches den Maler und Lebensreformer Karl-Wilhelm Diefenbach mit seinen drei Kindern, deren Lehrerin und einen Schüler bei einer Alpenwanderung zeigt, mit Menschen, die in einem Wagenlager in Leipzig leben, nachzustellen. Aus dem Bildmaterial des Reenactments sollte ein Essay-Film mit Interviews mit den Darstellern und Darstellerinnen zum Thema des Ursprungsideals des Naturmenschen und der Praxis des Nachspielens entstehen. Lebensreform ist der Oberbegriff für verschiedene soziale Reformbewegungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts insbesondere von Deutschland und der Schweiz ausgingen. Gemeinsame Merkmale waren die Kritik an Industrialisierung beziehungsweise Materialismus und Urbanisierung und ein Streben nach dem Naturzustand. Vertreter der Lebensreform propagierten eine naturnahe Lebensweise mit ökologischer Landwirtschaft, vegetarischer Ernährung ohne alkoholische Getränke und Tabakrauchen, Reformkleidung und Naturheilkunde. Sie reagierten damit auf die aus ihrer Sicht negativen Folgen der gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert. In geistiger Hinsicht wandte sich die Lebensreform neuen religiösen und spirituellen Anschauungen zu, unter anderem Theosophie, Mazdaznan und Yoga. Untersucht werden sollte während des Stipendiums u. a., ob diese Geisteshaltung noch heute aktuell ist und welchen Grad des Bewusstseins die Leipziger Gruppe über das "Nachspielen" ihres Leitbildes hat. Das Konzept wurde weitestgehend beibehalten. Anfangs war sich die Künstlerin noch nicht im Klaren, dass die Interviews mit den Darstellern und Darstellerinnen einen großen Raum einnehmen würden. Sie orientierte sich auch an den Thesen und Fragen, die sie sich zu Anfang im Konzept gestellt hatte, kam aber im Zuge weiterer Recherchen etwas davon ab. Ihr ursprünglicher Eindruck war, dass die Menschen auf dem Foto eine Vergangenheit nachspielen, die sie mehr oder weniger verklären bzw. romantisieren. Im Zuge ihrer Recherchen und auch in den Gesprächen mit den Darstellern und Darstellerinnen kam ein differenziertes Bild zu Tage. Viele hatten einen anderen Bezug zur Natur als noch die Reformer und standen trotzdem in ihren Fußstapfen. Diese Bezüge und auch Unterschiede wurden in einem Film herausgearbeitet. Der Film vermittelt einen Eindruck darüber, wie sich Zeitgeschehen durchdringt und beeinflusst. Das Thema von Wiederholung und Variation, in der auch Veränderung liegt, wird durch die Möglichkeit des Vergleichens mit dem Originalbild erreicht. Neben dem halbstündigen Film sind Fotografien und eine Broschüre entstanden, die den historischen Kontext der Arbeit behandelt. Ein zweiter Film, der dem Hauptfilm gegenübergestellt werden soll, ist in Planung.
Vita
1982 in Gera geboren | 2004 – 2006 Studium der Ethnologie/ Theaterwissenschaften an der Universität Leipzig | 2007– 2011 Studium der Theatermalerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden | 2011 – 2017 Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle im Fachgebiet Bild/ Raum/ Objekt/ Glas | seit 2017 Aufbau und Betrieb eines Bau-/ Aktivspielplatzes in Halle-Freiimfelde | lebt und arbeitet in Halle (Saale)