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Barbara Schmidt im Interview

Die Porzellandesignerin Barbara Schmidt über ihre ersten Kontakte zum Bauhaus, ihre Verehrung für Karl Blossfeldt und warum man einen Coffee-to-go-Becher nicht mehr neu erfinden muss. Manon Bursian, Direktorin der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, sprach mit der 1967 in Berlin geborenen Künstlerin über ihre Herkunft und ihren ungewöhnlichen Entwicklungsweg.

Mit Dir begann in KAHLA die weiße Phase im Porzellan. War der Abschied vom blau-weißen Zwiebelmuster auch eine Art der Rebellion?

Nein, es ging mir nicht um einen Abschied vom Dekor, sondern darum, die klassischen Service aufzulösen und Porzellan so zu gestalten, dass es zu unterschiedlichen Lebensentwürfen passt und zum freien Kombinieren einlädt. Dabei ist das Dekor irgendwie abhandengekommen – jedenfalls manche Arten von Dekor.

Kannst Du mir mehr über diese Zeit Anfang der Neunziger erzählen? Welche Rolle hattest Du bei der Umstrukturierung der Firma?

Ich kam nach KAHLA frisch von der Hochschule, fand eine Firma vor, in der es großen Druck gab, vieles zu verändern, ohne dass die Richtung schon klar war. Mit Günther Raithel kam schließlich ein Geschäftsführer, der die richtigen Weichenstellungen treffen konnte und der mir die großartige Chance gab, über Jahre das Sortiment von KAHLA neu zu entwickeln. Diese Art Zusammenarbeit, mit so viel Freiheit und so viel Kontinuität, ist schon etwas Besonderes. KAHLA ist inzwischen eine Familienfirma, mittlerweile geführt von Holger Raithel, der, mit seiner eigenen konzeptionellen Handschrift, diese Zusammenarbeit fortsetzt.

Welche Rolle spielen Naturwahrnehmungen in Deinem Gestaltungsprozess?

Ich habe Mitte der Neunziger ein Jahr Auszeit von KAHLA genommen, um in Finnland zu studieren und mich in der Zeit dort intensiver mit den Arbeiten von Karl Blossfeldt beschäftigt, mit Licht und Schatten, mit Materialien. Naturphänomene, Formen, Farben, Prinzipien, begeistern mich immer wieder. Mich interessiert aber nicht nur die Natur an sich, sondern wie Menschen Natur wahrnehmen – mit den Sinnen, aber auch mit Instrumenten.

Kann man auch einen Coffee-to-go-Becher noch verbessern?

Nein, ebensowenig wie eine Pizzaverpackung. Er ist ein Werkzeug für sofortigen Lustgewinn – für unangenehme sensorische Erfahrungen wie verbrannte Finger und Pappe an Händen, Lippen und Zunge wird der Trinkende entschädigt durch die Möglichkeit, Kaffee jederzeit, an jedem Ort und bei jeder Tätigkeit zu genießen. Den Abwasch erledigt die Müllverbrennung. Das schlechte Gewissen wegen der Ressourcenverschwendung erhöht den Genuss um den Reiz des quasi Verbotenen, jedenfalls politisch Unkorrekten.

Dies ist die erste Ausstellung in der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, die auch zum Berühren ist, welche Bedeutung hat die Haptik für Dich beim Porzellan und kann Dir die Gestaltung eines Henkels eine schlaflose Nacht bescheren?

Ich finde es hilfreich und produktiv, Dinge, die im Gebrauch in die Hand genommen werden, auch mit den Händen zu entwerfen. Die Gestaltung eines Henkels ist bei mir also  ein sehr haptischer Prozess, der mich tagelang beschäftigen kann. Schlafen kann ich in  so einer Phase normalerweise sehr gut.

Wie kommst Du auf die ausgefallenen Namen für Deine Service? Wird damit das Geschirr mit Bedeutung aufgeladen und trifft dies unser Zeitgefühl?

Die Produktnamen werden bei KAHLA in einem Teamprozess gefunden. Ein guter Name bringt ein Produkt zum Sprechen, bestimmt mit, wie es wahrgenommen wird. Natürlich freue ich mich immer, wenn meine Arbeitstitel zum Namen für die Serie werden.

Du bezeichnet Dich selbst als …?

Designerin. Das ist heute ein Begriff, der ein wunderbar weites Arbeitsfeld beschreibt.

Wie sind Deine skulpturalen Gefäße  im Zusammenhang mit deinen „Auftragsarbeiten“  für KAHLA zu verstehen?

Das sind Experimente mit Material, Ästhetik, Form, Wahrnehmung und Gebrauch. Für mich ist es wichtig, eine Art Entwicklungslabor zu haben, in dem ich ohne Auftragsdruck arbeiten kann.

Wie groß ist die gestalterische Freiheit in der Industrie?

Sehr unterschiedlich vermutlich. Bei KAHLA habe ich große Freiräume bekommen. Aber klar ist natürlich, dass bei industriellen Entwürfen bestimmte Parameter erfüllt werden müssen, die z. B. durch Produktionstechniken und Kundenstruktur definiert werden. Das finde ich aber eher inspirierend als einschränkend. Und immer wieder können vermeintliche Grenzen auch überschritten werden.

In wie weit spielt Materialforschung bei so einem traditionellen Material wie Porzellan eine Rolle?

Die Rezeptur für die Porzellanherstellung ist ein Klassiker: 50 % Kaolin, 25% Quarz, 25% Feldspat, gebrannt bei 1400 °C und reduzierender Ofenatmosphäre, in Europa seit über 300 Jahren. Es gibt einige Schrauben, an denen man drehen kann, aber es ist nicht so einfach, in Serie reproduzierbare Ergebnisse zu bekommen. In der technischen Keramik hingegen passieren schon lange sehr aufregende Dinge, auch bei handwerklich hergestelltem Porzellan kann man experimentieren. Ich denke, es ist eine gute Zeit, mit dem Material Porzellan auch in der industriellen Herstellung experimentell umzugehen und z. B.  Abweichungen bzw. eine gewisse Variationsbreite als Element in eine Serienproduktion aufzunehmen.

Welche sind die wohl wichtigsten Stationen auf dem Weg zu Deinen revolutionären Meisterwerken?

Mit Update (1997/98) habe ich begonnen, über die Arten nachzudenken, auf die heutige Benutzer mit Porzellan umgehen. Mit Five Senses (2000/2001) kam das sinnliche Erleben des Koch- und Essprozesses ins Spiel, bei Cumulus (2001/2002) ging es um den spielerischen Umgang mit Geschirrformen am Tisch jenseits von Servicen, bei Elixyr (2003/2004), das formale Elemente eines Löffels integriert, um Berühren und Greifen, bei Centuries (2006-2010) um die Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe und bei Café Sommelier (2011/2012) um die Kunst, guten Kaffee herzustellen und zu genießen.

Die Art und Weise, wie Menschen Geschirr wahrnehmen, könnte auch ihren Alltag verändern. Hat sich das Bewusstsein für Essen und Geschirr in den letzten Jahrzehnten verändert. Gibt es eine besondere Thüringer Tradition?

Ich sehe meine Geschirrentwürfe eher als Antwort auf die sich verändernden Lebensbedingungen – aber natürlich auch als Angebot, genussvoll mit diesen Veränderungen umzugehen. Und natürlich beeinflussen die Dinge auch den Umgang mit ihnen: Mir wird immer wieder erzählt, wie von mir entworfene Dinge Koch- und Esspraxis beeinflussen. Und ich freue mich sehr über das neu erwachende Interesse an eigenhändigem Kochen mit guten Zutaten. Kochen ist bei vielen ja praktisch das einzige noch selbst ausgeübte Handwerk. Die Thüringer haben eine lebendige Koch- und Backtradition, auf die sie stolz sind, die aber auch verlorenzugehen droht. Es gibt z. B. noch ein paar sehr alte Backfrauen, die für Familienfeste wagenradgroße Kuchen in Rundöfen backen – aber ob sich da eine nächste Generation finden wird?

In Deinen Arbeiten sind immer wieder Referenzen an die Bauhausmeister zu finden. Hast Du in Deiner Zeit in Halle oft das Bauhaus besucht. Wie waren die ersten Kontakte?

Eigentlich war ich in meiner Hallenser Zeit nur einmal am Bauhaus, 1988, als die Ausstellung „Experiment Bauhaus“ aus dem Westberliner Bauhaus-Archiv gezeigt wurde. Das Gebäude schien auf den ersten Blick seltsam vertraut, ein Beleg dafür, wie sehr es das Bauen danach geprägt hatte. Herauszufinden, wie wechselvoll die Geschichte der Bauhaus-Rezeption in der DDR gewesen war, fand ich als Studentin sehr aufregend – die anfängliche offizielle Ablehnung machte es interessanter als die spätere Zustimmung.

Deine Service bestehen aus unendlich vielen Teilen, Tassen und Teller in allen nur erdenklichen Varianten und Größen. Da kann es auf einem Tisch schon mal zu vielen Schichten, einer Assemblage und auch Koinzidenten kommen. Ist es eine deutsche Tradition, für jeden Sonderfall eine eigene Lösung zu haben?

In alten Kahlaer Formenbüchern findet man Service mit über 100 verschiedenen Teilen. Da gab es einige Artikel in mehr als 10 Größen und so exotische Dinge wie Barttassen. Dagegen sind die Sortimente meiner Serien wirklich reduziert. Bei der Geschirrfamilie Update haben wir mit nur 8 Teilen begonnen, am Ende wurden es 24, alles Teller, Tassen, Schalen,  „Spezialartikel“ wie eine Kaffeekanne gehören nach wie vor nicht dazu.

In der Kunststiftung präsentierst Du zum ersten Mal Deine eigene Wunderkammer. Welche Rolle haben diese Spielorte der Fantasie für Dich? Was wirst Du in Deine ganz persönliche Wunderkammer stellen?

Zu Hause hatten wir eine Wunderkammer in Form eines Schranks voller Familienerbstücke und Kuriositäten, der seinen Platz im Kinderzimmer hatte und dessen Inhalt unser Vater uns hin und wieder feierlich erklärte. Das weckte eine erste Vorstellung von Geschichte, von Verbundensein mit früheren Generationen. Mich hat am meisten das Porzellan fasziniert, das von einem Urururgroßvater stammte, der Gärtner in Sanssouci war. Es war zweite Wahl, kleine Fehlerstellen waren liebevoll mit winzigen Insekten übermalt – schöner als alle Ornamente. Porzellan eignet sich sehr gut für Wunderkammern – zwar ist es zerbrechlich, altert aber kaum und hat viel mitzuteilen über Lebens- und Essgewohnheiten und ästhetische Vorlieben einer Zeit. In meiner Wunderkammer stehen also Objekte aus Porzellan, Keramik und Glas, die mir wichtig sind.

Wie wenig Geschirr braucht man heute noch?

Wenn man nicht kocht, gar keins. Sonst möglichst so viel, dass man eine ganze Spülmaschine füllen kann. Und dass man jedem Gast einen Teller geben kann – Gäste haben und mit ihnen essen ist doch etwas Wunderbares.

Wie sieht für Dich eine gedeckte Dinner-Tafel aus?

Ach, das kann so unterschiedlich sein. Und neben dem Aussehen ist vor allem wichtig, wie das Ganze riecht, schmeckt, sich anfühlt und klingt. Wenn alles mit Liebe gemacht und die Stimmung gut ist, wird es ganz sicher ein Genuss.

Wie viele Kaffeetassen sind weltweit von Dir unterwegs?

So irgendetwas um die 25 Millionen – eigentlich eine schwindelerregende Zahl.

Vielen Dank.

Fotos:KAHLA/ Thüringen Porzellan GmbH

Fotos:KAHLA/ Thüringen Porzellan GmbH

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