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„Das darf nicht erneut passieren“

Dr. Franziska Krüger ist die Leiterin der Stabsstelle „Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier“ in Sachsen-Anhalt. Das ErlebnisZentrum Bergbau in Wettelrode erzählt die Geschichte dieser verblichenen Industrie; Nora Mona Bach erzählt sie ebenfalls. Nun kommen auf das Mitteldeutsche Revier erneut Umwälzungen zu, wenn auch kleinere als einst. Wie die zu bewältigen sind, erzählt Franziska Krüger im Interview. 

Kunststiftung: Was ist die Aufgabe der Stabsstelle „Strukturwandel“? 

Dr. Franziska Krüger:  Der Kohleausstieg und der damit einhergehende Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier ist ein intensiver und langwieriger Prozess, der ein stetiges Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen erfordert. Hinzu kommen regionale Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die an der Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission mitwirken. Die Stabsstelle „Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier“ der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt begleitet das Thema inhaltlich und koordiniert das Vorgehen aller Beteiligten. Zudem stimmt sich die Stabsstelle mit den anderen Kohleländern ab, insbesondere mit dem Freistaat Sachsen.

 

Die größten Herausforderungen sind welche?

Das sogenannte Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen eröffnet insbesondere Kommunen die Möglichkeit, über zielgerichtete Investitionen in bedeutsame wirtschaftsnahe Infrastruktur die Attraktivität der Region für Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung zu erhöhen. Ideen dafür gibt es in den Kommunen viele. Aber aus Ideen müssen konkrete Projekte werden. Dafür bedarf es Personal, das den Städten und Gemeinden oft fehlt.

Beim Thema Strukturwandel haben wir die Chance, eine Region ganzheitlich zu entwickeln. Das heißt, das in so gut wie allen gesellschaftlichen Bereichen Projekte zu Verbesserung der Infrastruktur der Region umgesetzt werden können – das Spektrum reicht quasi von der Kita bis zum Großforschungszentrum, vom Fahrradweg bis zum 3G-Campus. Das bringt eine große thematische Vielfalt, aber gleichzeitig auch Komplexität mit sich. Diese Komplexität zu kommunizieren und die Chancen darin zu vermitteln, ist nicht immer einfach, aber machbar.

 

Ist der Kohleausstieg und damit der Strukturwandel ein notwendiges Übel oder ein längst fälliger, verheißungsvoller Umbruch?

Seit Generationen sind Bergbau und Industrie Taktgeber für den Herzschlag der Region. Bereits nach dem Umbruch in den 1990ern wurde dieser Takt kräftig durcheinandergebracht. Und bis heute sind die Transformationsprozesse der Nachwendezeit nicht abgeschlossen. Da ist es nachvollziehbar, dass der nun anstehende Strukturwandel, der aus dem Ausstieg aus der  Braunkohleverstromung resultiert, eine enorme Unsicherheit und Zukunftsangst mit sich bringt.

Gleichzeitig haben wir die Chance, eine Region komplett neu zu erfinden. Und heute fangen wir dabei nicht bei Null an. In den letzten 30 Jahren wurde in der Region viel erreicht. Darauf lässt sich jetzt aufbauen.

 

Auch in Sachsen-Anhalt kam es nach der Wende zu erheblicher Deindustrialisierung; allein in Mansfeld-Südharz sind durch das Ende des Bergbaus Tausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Verstehen Sie, dass viele Menschen Angst haben vor einem erneuten Umbruch?

Das ist mehr als nachvollziehbar. Die Region hat in dieser Zeit zu viele Menschen verloren, die für sich und ihre Familien keine Perspektiven mehr gesehen haben. Das darf nicht erneut passieren.

 

Was kann das Land tun, um evtl.  drohende Verwerfungen abzumildern?

Mit dem Strukturstärkungsgesetz erhält das Mitteldeutsche Revier Sachsen-Anhalt Investitionsmittel in Milliardenhöhe. Dieses Geld muss durch Land und Region gezielt eingesetzt werden, um die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für bestehende Unternehmen, Gründer und Investoren so attraktiv zu gestalten, dass sie sich in der Region wirtschaftlich entfalten und Arbeitsplätze schaffen können. Transformation geht nur über die Menschen in der Region. Damit sie sich hier wohlfühlen, sind auch Vorhaben umsetzbar, die die Attraktivität der Region in Gänze erhöhen.

 

Die künftige Regierung plant offenbar, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Eine solche Entscheidung wäre eine große Belastung im Vertrauen zwischen Bevölkerung und Politik. Mit diesem Schritt käme viel Verwaltungsarbeit auf uns zu – Gesetze müssten angepasst werden, darauf aufbauende Verwaltungsabläufe ebenfalls. Aber viel wichtiger als das ist, um das Vertrauen der Menschen zu werben und Unsicherheiten zu begegnen. Schon oft wurde der Strukturwandel in der Kohleregion mit einem Marathon verglichen – alle Läufer sind mittlerweile unterwegs und haben sich auf ihre Strecke eingestellt. Mitten im Lauf die Rahmenbedingungen zu ändern, wird das Revier noch stärker herausfordern.

 

Spielen Kunst und Kultur für den Strukturwandel eine Rolle?

Kunst und Kultur spielen eine sehr wichtige Rolle in vielerlei Hinsicht. Sie helfen, Dinge begreifbar zu machen und unterschiedliche Blickwinkel einnehmen zu können. Das ist bei solchen komplexen Prozessen sehr wichtig. Kunst und Kultur prägen die Identität einer Region. Zudem erhöhen Angebote in Kunst und Kultur die Attraktivität der Region und locken Menschen ins Revier.

 

Gibt es schon konkrete künstlerische oder kulturelle Vorhaben, die innerhalb des Strukturwandels realisiert werden sollen?

Die Industriekultur wird eine große Rolle spielen – in diesem Themenfeld sind schon einige Ideen und Vorhaben in Vorbereitung. Zudem wird sich Sachsen-Anhalt an der Europäischen Initiative des New European Bauhaus beteiligen – eine Initiative, die Ansätze unter anderem aus Kunst, Kultur, Technologie, Architektur, Design und Inklusion zusammenführt, um neue Ansätze des miteinander Lebens und Wohnens zu entwickeln. Aber auch kleinere Vorhaben sind denkbar. So haben Stabsstelle und die Fachbereiche Fotografie und Kommunikationsdesign an der Burg Giebichenstein im Sommersemester 2021 zusammengearbeitet. Studierende haben sich mit dem Thema Strukturwandel künstlerisch auseinandergesetzt – mit spannenden Ergebnissen.

 

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