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Ein Weihnachts-Dialog

Matthias Jügler: „Ich bin in ein tiefes Loch gefallen“

 

 

Meine Urgroßmutter Rosi ist 89 Jahre alt und eine liebenswürdige Frau. Dennoch nehme ich manchmal nicht ab, wenn sie mich anruft. Aber weil bald schon Weihnachten ist, atme ich dieses Mal tief ein, tief wieder aus und nehme schließlich doch ab.

»Hallo?«, sage ich.

»Ich bin’s!«

»Hallo!«

»Ich bin in ein tiefes Loch gefallen!«

»Du bist was?«

» Ich bin in ein tiefes Loch gefallen!«

»Geht’s dir gut?«, frage ich.

»Ging mir nie besser!«

»Sollen wir dich besuchen kommen?«

»Nein. Es ging mir nie besser!«

»Ach so.«

»Willst du es denn nicht wissen?«, fragt sie.

»Was?«

»Das mit dem Loch!«

»Doch, doch! Was ist denn mit dem Loch?«

»Hast du eben mit der Tastatur getippt? Machst du was anderes, während wir telefonieren?«

»Nein!«

»Ich hab’s doch aber gehört!«

»Ich sitze auf dem Sofa. Wirklich.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«

»Wie geht es dir denn eigentlich?«, fragt sie.

»Ich soll eine Weihnachtsgeschichte schreiben.«

»Für den Verlag?«

»Nein.«

»Und was schreibst du so?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Da darfst du aber keinen Quatsch abgeben, ja?«

Stille.

»Schreib was über Trump!«, sagt sie.

»Wie bitte?«

»Den kennt doch jeder.«

»Aber es soll eine Weihnachtsgeschichte werden!«

»Na und.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Schreib doch, wie Trump nach der Wahl in ein tiefes Loch gefallen ist.«

»So wie du.«

»Ja!«

»Und was hat das mit Weihnachten zu tun?«

»Ihr Jungmenschen habt einfach keine Fantasie mehr!«

»Stimmt.«

»Schreib doch etwas über Terroristen!«

»Rosi, hör mal auf mit sowas, bitte.«

»Warum?«

»Weil ich eine Weihnachtsgeschichte schreiben soll!«

»Aber Terroristen feiern doch auch Weihnachten, und das ist dann so gesellschaftskritisch.«

»Ich finde das nicht witzig.«

»Du findest ja nie etwas witzig.«

Stille.

»Ich bin in ein tiefes Loch gefallen.«

»Geht es dir gut?«

»Da war einfach ein Loch im Gehweg.«

»Geht es dir gut?«

Stille.

»Geht es dir gut, Rosi?«

Stille.

»Ich lag da und niemand hat mir geholfen. Ich habe dich angerufen, aber du bist nicht rangegangen. Dann habe ich Heike angerufen, aber sie ist nicht rangegangen.«

»Und wie geht es dir jetzt?«

»Ich will meine Ruhe haben.«

»Ach, Rosi.«

»Ich will meine Ruhe haben!«

»Aber du hast angerufen, nicht ich!«

»Ich bin ja auch in ein Loch gefallen!«

»Sagst du jetzt bitte mal, wie es dir geht?«

»Ging mir nie besser!«

»Ich muss eine Weihnachtsgeschichte schreiben, Rosi.«

»Schreib doch was über Heizungsmonteure!«

»Was?«

»Wie die einen bescheißen so kurz vor Weihnachten.«

»Was?«

»Ja, was denkst du, was bei mir so alles los ist!«

»Brauchst du Hilfe?«

»Nein!«

Stille.

»Du tippst doch schon wieder was! Du konntest dich noch nie auf irgendwas konzentrieren.«

»Schon als Kind nicht«, sage ich.

»Genau!«

»Und heute erst recht nicht«, sage ich.

»Wollt ich gerade sagen!«

Stille.

»Ich bin in ein Loch gefallen, kannst du dir das vorstellen?«

»Ich werde was über Donald Trump schreiben.«

»Über wen?«

»Donald Trump!«

»Nein, das würde ich nicht machen«, sagt sie, »das soll doch eine Weihnachtsgeschichte werden!«

Stille.

»Schreib doch was über alte Menschen wie mich, die Weihnachten ganz allein sind.«

»Fühlst du dich allein? Sollen wir dich besuchen kommen?«

»Ging mir nie besser!«

»Sollen wir dich besuchen kommen?«

»Das wäre schön.«

»Ja.«

»Ihr wollt ja gar nicht.«

»Was?«

»Ihr wollt mich ja gar nicht besuchen kommen!«

»Doch.«

»Dann kommt mich besuchen.«

»Ja. Gut. Wir kommen dich besuchen. Am ersten Feiertag.«

»Nein.«

»Was?«

»Da kann ich nicht.«

»Dann kommen wir eben am zweiten.«

»Nein, nein, nein, so geht das nicht.«

»Wann können wir denn dann kommen?«

»Ich melde mich.«

»Mach das«, sage ich.

»Mach ich.«

 

 

vita

 

1984 in Halle (Saale) geboren | Studium Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig | Stadtschreiber in Pfaffenhofen | Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin für seinen Debütroman „Raubfischen“ | 2016 Writer in Residence des Goethe-Institutes Taschkent/ Usbekistan | Herausgeber der Anthologie „Wie wir leben wollen. Texte für Solidarität und Freiheit“ | 2918 Nominierung für den Literaturpreis Wartholz für einen Auszug aus „Die Verlassenen“ | lebt als Lektor und Autor in Leipzig

 

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