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Eine kleine Geschichte des Holzschnitts

868 – der erste bekannte Holzschnitt entstand in China. Doch erst etwa 600 Jahre später wurde die älteste klassische Drucktechnik in Mitteleuropa ausgeführt. Zwar war sie vorgebildet im Zeugdruck – dem Druck von Mustern und Bildern mit Holzmodeln auf Textilien. Aber noch fehlte Essentielles für den Holzschnitt: Papier. Wie man es herstellt, dieses Wissen erreichte erst im 11. Jahrhundert Europa. Im 13. Jahrhundert entstanden erste Papiermühlen in Italien, 1390 die erste in Deutschland. Und: Zugleich sind die frühesten Holzschnitte nachweisbar.

Man stelle sich vor: Es war eine Zeit, in der es kaum Bilder gab. Zu sehen waren sie für alle in Kirchen, für wenige in Klöstern oder Herrschaftssitzen. Welche Faszination mussten gedruckte Bilder entfalten – allen voran der Holzschnitt! Der Stil der frühesten lässt einen Ursprung in alpenländischen und bayerischen Klöstern vermuten. Es sind Andachtsbilder, die man in Gebetsbücher einlegte oder an die Wand heftete.

Damals begannen die Menschen, ihren Glauben immer häufiger zu Hause auszuüben. Nun hatten sie auch dort erschwingliche Bilder: Drucke, die halfen, sich in die rechte Gebetsstimmung zu versetzen. Schlicht, einprägsam, auf das Wesentliche reduziert, ohne Schraffuren, mit durchgehend ziemlich gleicher Linienstärke sind diese Einblattholzschnitte, d. h. sie waren weder Teil einer Bildfolge noch Buchillustrationen. Viele sind handkoloriert. Die Zeitläufte überdauerten diese ganz frühen Drucke zumeist fast ungesehen:  In sparsamen Klöstern verwendete man das damals noch kostspielige Papier, um die Innendeckel von Codices zu bekleben. (Bild 1 „Marter des Heiligen Sebastian“)

Kurz vor 1500 wurden die Holzschnitte immer detaillierter. Nun tauchen etwa Kreuzschraffuren und Überschneidungen auf. Die Formreißer, die die Motive entwarfen, auf das Holz zeichneten, kamen an ihre Grenzen. Ein neuer Berufszweig entstand: der Formschneider. Er arbeitete die Zeichnungen in das Holz, so dass die Linien als erhabene Stege stehen blieben. Wegen der handwerklichen Finesse hervorragender Formschneider, deren Namen bei Weitem nicht so bekannt sind wie die der Formreißer, stieg der Holzschnitt zur hohen Kunst auf. So setzten sie z. B. Zeichnungen von Albrecht Dürer, Hans Burgkmair oder Hans Holbein d. J. exakt um.

Im 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der Umbrüche, der Reformation, wurde der Holzschnitt zum Massenkommunikationsmittel. Eindrücklich bebilderte, kritische Flugschriften (Bild 2) erschienen, daneben Aderlasstafeln, Kalender, Bilder der Frau Minne, Ständesatire, Totentänze… Dem Betrachter öffneten sich neue Welten, Erstaunliches wurde ihm vorgestellt wie ein Rhinozeros, das der portugiesische König als Geschenk erhielt (Bild 3). Neben solch seltenen, exotischen Tieren befriedigten Holzschnitte auch die Lust am Gruseligen, am Ungesehenen: Ganz im Stil der Sensationspresse wurde das widerliche Wüten von Werwölfen (Bild 4) gezeigt, Missgeburten vorgestellt, vor Kometen und dem Weltuntergang gewarnt, von Schlachten, Morden, Hinrichtungen, Feuern berichtet. Und natürlich waren Luthers Lehre, Schriften und Wirken mannigfach Thema – sowohl von der Seite seiner Befürworter als auch seiner Gegner.

Seit der Erfindung des Buchdrucks avancierte der Holzschnitt zu dem Verfahren für die Buchillustration: Der Druckstock konnte mit dem typographischen Satz zu einer Gesamtform montiert und in einem Arbeitsgang in mehreren tausend Exemplaren vervielfältigt werden. Bestseller waren das kurz vor der Wende zum 16. Jahrhundert publizierte „Narrenschiff“ Sebastian Brants (Bild) und natürlich die „Bibel“. 1543 erschien die erste Gesamtausgabe der Lutherschen Übersetzung; Wittenberg mauserte sich zur Druckereihochburg. Illustrierte Ausgaben wurden auch für des Lesens Unkundige attraktiv (Bild 5). Viele sollen sie mit sich herumgetragen haben.

Auch für topographische Karten und wissenschaftliche Werke wurde der Holzschnitt das Mittel der Wahl. So erschien Mitte des 16. Jahrhunderts ein revolutionäres Werk: „De humani corporis fabrica“ von Andreas Vesalius. Detaillierte Holzschnitte geben Einblick in den menschlichen Körper, und das Buch begründete die neuzeitliche Anatomie (Bild 6).

Mit dem Holzschnitt stand den Künstlern eine Technik zur Verfügung, in der sie für die Allgemeinheit interessante Motive preiswert in großer Menge produzieren konnten. Es bedurfte keines persönlichen Auftraggebers mehr. Die Drucke konnten auf Märkten frei verkauft werden und ernährten so ihre Schöpfer. Das heißt aber nicht, dass wohlhabende Auftraggeber ausblieben: Wegen der möglichen großen Verbreitung war der Holzschnitt auch für Herrschende interessant, die ihren Ruhm via Bild in der Welt verkünden wollten. So gab Kaiser Maximilian zwei riesige Werke in Auftrag: den „Triumphzug“ (geplante Länge ca. 50 m, bestehend aus 147 Holzschnitten mit 210 Illustrationen, Bild 7) und die „Ehrenpforte“, inspiriert von den Triumphbögen der Cäsaren (295 × 357 cm, aus 192 Druckstöcken) und einer der größten, jemals produzierten Drucke. Dieser sollte in Rathäusern und fürstlichen Palästen an die Wand montiert werden. Der Auftrag erging an Albrecht Dürer, der gemeinsam mit anderen die Vorlagen für die Formschneider erstellte (Bild 8).

Im 17. Jahrhundert verlor der Holzschnitt an Bedeutung. Andere Drucktechniken wurden entwickelt und entsprachen mehr den Erfordernissen der Zeit: So konnten in Kupferstichen die immer genauer werdenden Kenntnisse – etwa in Topographie und Geographie – detaillierter wiedergegeben werden. Der Geschmack wandte sich mehr und mehr von der Linie ab und dem Malerischen zu. Gemälde wurden in Drucken immer häufiger reproduziert, wofür Radierungen, Aquatinten und schließlich Holzstiche besser geeignet waren.

Doch im 19. Jahrhundert stieg das Interesse an künstlerischen Errungenschaften aus der Vergangenheit. Niemals zuvor gab es eine vergleichbare Fülle an Druckgrafik. Fasziniert von der Schlichtheit und Einfachheit des Mittelalters, standen auch Kunstwerke der damaligen Zeit Pate – sowohl in den Techniken als auch in den Motiven. So erlebte der Holzschnitt wieder einen Aufschwung. Ludwig Richters Illustrationen (Bild 9) waren weit verbreitet, und die Bibel mit Julius Schnorr von Carolsfelds Federzeichnungen, umgesetzt in Holzschnitte, gehörte schließlich zum Hausschatz fast einer jeden Bibliothek (Bild 10).

Da sich Holzschnitte wegen der Sprödigkeit des Materials der illusionistischen Darstellung verweigern, barg die Technik auch für Impressionisten, Symbolisten, die Jugendstilkünstler und schließlich die Expressionisten großes Potential. Hinzu kam, dass die ab 1862 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werdenden japanischen, kompliziert herzustellenden Farbholzschnitte die Europäer faszinierten und beflügelten. Künstler wie Félix Vallotton (Bild 11), Paul Gauguin oder auch Maurice Denis betonten dekorative Flächen. Mannigfach reproduziert wurde und wird Peter Behrens’ Farbholzschnitt „Kuss“ (Bild 12).

Wie z. B. bereits Edvard Munch bezogen die Expressionisten die Maserung des Holzes in ihre Bildfindungen ein. Besonders die Mitglieder der Künstlervereinigung „Brücke“ schnitten nicht nur freie Grafiken, sondern benutzten den Holzschnitt auch für ihre Gebrauchsgrafik –  die Publikation ihres Programms 1906, für Jahresberichte, Einladungs- und Mitgliedskarten, Plakate und Kataloge. Zum einen, befanden sie, wirke der Holzschnitt wie ein Flugblatt in die Breite. Zum anderen ließe sich durch ihn „unmittelbar und unverfälscht“ zeigen, was den Künstler „zum Schaffen drängt“. Hier nun fielen Formreißer und -schneider wieder in einer Person zusammen. Der handwerkliche Prozess blieb sichtbar, die Arbeiten wirken eher grob und schroff. (Bild 13)

Der Holzschnitt war nun voll anerkannt – als eine Möglichkeit künstlerischen Schaffens. In der Holzschneidervereinigung XYLON sind seit fast 70 Jahren Künstlerinnen und Künstler vereint, die schöpferisch insbesondere den Holzschnitt pflegen und weiterentwickeln wollen.



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