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„Es war ein Mammutunternehmen“

Einige Fragen an Herlinde Koelbl

Die Fotografin Herlinde Koelbl hat in ihrer langen und bemerkenswerten Karriere vor allem Menschen porträtiert. Menschen in ihrer Umgebung, privat oder dienstlich, Politiker, Menschen mit einer Geschichte. Für ihre Serie „Faszination Wissenschaft“ fotografierte sie 60 Naturwissenschaftler, einige von ihnen bereits mit einem Nobelpreis ausgezeichnet.

 

Die von Ihnen porträtierten Wissenschaftler sehen auf den Bildern sehr fröhlich aus. Waren sie das wirklich?

Herlinde Koelbl: Das waren sie. Auch deshalb, weil ich sie nicht in der üblichen Weise fotografiert habe. Meine Idee, eine Formel oder eine Philosophie aus ihrer Arbeit auf die Hand zu schreiben, hat die Wissenschaftler sehr angesprochen. Das hat etwas zum Vorschein gebracht, was in ihnen ist, etwas Spielerisches, eine kindliche Neugier.

 

Was hat den Anstoß gegeben für die Serie?

Herlinde Koelbl: Ich habe damals festgestellt, dass Wissenschaft in der Gesellschaft kein Thema ist und dass Wissenschaftler oft nicht verständlich kommunizieren und daher kaum wahrgenommen werden. Ich wollte daher führende Naturwissenschaftler aus der ganzen Welt porträtieren, aus allen Bereichen, auch eher ungewöhnlichen wie der KI zum Beispiel. Ich habe sehr lange recherchiert dafür. Das wirklich Überraschende war, dass alle, die ich gefragt habe, zugestimmt haben!

 

Das Ganze klingt nach einem langwierigen Prozess?

Herlinde Koelbl: Es war ein Mammutunternehmen. Ich war allein einen Monat in den USA, an der Ost- und Westküste. Ich war in Israel, in China, in Australien, England, Frankreich… Ich musste ganz planmäßig vorgehen; das erste Interview habe ich schon 2015 geführt.

 

Ist Ihnen die Coronapandemie dazwischengekommen?

Herlinde Koelbl: Ich hatte Glück. Als sie kam, hatte ich die Reisen schon hinter mir, und danach hatte ich viel Zeit für die Bearbeitung des Materials.

 

Sie sind vor allem durch Ihre Porträtserien bekannt geworden, fotografieren aber auch anderes, Natur zum Beispiel?

Herlinde Koelbl: Das stimmt, bisher habe ich fast immer Menschen in ihrem Umfeld aufgenommen, aus dem ganzen Spektrum des menschlichen Lebens. Im Herbst erscheint ein Buch mit Naturfotografien von mir, an dem ich seit vier Jahren arbeite. Auf Reisen habe ich natürlich immer schon solche Aufnahmen gemacht. Das Schöne ist, dass man dabei nicht auf Termine angewiesen ist. Und Launen hat die Natur auch nicht.

 

Wie schafft man es als Fotografin, den Protagonisten die Hemmungen zu nehmen bei den Aufnahmen?

Herlinde Koelbl: Da gibt es kein Rezept, die Annäherung ist jedesmal eine andere; ihre Art ist wichtig. Und man muss sich vorher intensiv mit den Personen beschäftigen.

 

Gab es Fälle, in denen Ihnen das nicht gelungen ist?

Herlinde Koelbl: Manchmal gelingt es wunderbar, manchmal weniger. Das sieht man aber den Bildern sicher nicht an, das weiß dann nur ich.

 

Gibt es Menschen, mit denen Sie besonders gerne einmal arbeiten würden? Oder auch überhaupt nicht?

Herlinde Koelbl: Weder das eine noch das andere. Alle Menschen haben etwas Spannendes, das interessant wäre… Ich versuche, in meinen Bildern keine Wertung vorzunehmen; ich versuche, etwas zu erzählen, so viel wie möglich.

 

Noch einmal zur Wissenschaft: Glauben Sie, dass diese und ihre Protagonisten zukünftig deutlicher wahrgenommen werden in der Gesellschaft?

Herlinde Koelbl: Ja, das hat sich ja schon während der Pandemie gezeigt. Plötzlich wurden sie sichtbar. Ich hoffe, dass das so bleibt – aller Fortschritt hängt stark von der Forschung ab. Unsere Zukunft also.

 

Herlinde Koelbl, 1939 am Bodensee geboren, ist eine der renommiertesten Fotokünstler in Deutschland. Vor allem ihre Langzeitprojekte, verbunden mit intensiven Gesprächen, haben ihren Ruf begründet. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt und sind in vielen wichtigen Sammlungen vertreten. Fast 20 Fotobücher hat sie veröffentlicht, darunter die Bildbände „Das deutsche Wohnzimmer“, „ Feine Leute“, „Männer“,  Schlafzimmer“, „Starke Frauen“, „Jüdische Portraits“, „Kleider machen Leute“, „Haare“ und „Targets“. Ihr bislang größtes Projekt ist eine Langzeitstudie, für die sie von 1991 bis 1998 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft fotografierte und interviewte. Daraus entstand der Bildband „Spuren der Macht“, der u.a. die Veränderung von Angela Merkel, Gerhard Schröder, Joschka Fischer darstellt, sowie ein Dokumentarfilm dazu.

Herlinde Koelbl wurde bereits mehrfach ausgezeichnet; 2001 erhielt sie den Dr. Erich-Salomon-Preis und 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Die Künstlerin lebt und arbeitet in Neuried bei München.

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