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„,Heimat‘ ist ein Stigmawort“

Dr. Susanne Scharnowski, geboren 1960, studierte Anglistik und Literaturwissenschaft und bietet an der Freien Universität Berlin Lehrveranstaltungen zur Kulturgeschichte an, z.B. zur Kulturgeschichte der Natur und des Essens oder zu Heimat, Umwelt, Stadt und Natur in Film und Literatur. Im Rahmen der „lesereihe“ des HEIMATSTIPENDIUMS wird sie in der Gedenkstätte am 25. November um 17 Uhr einen Vortrag halten zu ihrer Monografie „Heimat. Geschichte eines Missverständnisses“.

 

Kunststiftung: Was ist denn das Missverständnis, das Sie im Buchtitel anklingen lassen?

Dr. Susanne Scharnowski: Eigentlich sind es gleich mehrere: Zunächst: dass der Begriff „Heimat“ etwas sehr Deutsches ist. Das stimmt so nicht, es gibt in anderen Ländern Entsprechungen. Das zweite: Es trifft auch keineswegs zu, dass Heimat und nationalsozialistische Ideologie zusammengehören. Drittens: Auch die Annahme, dass Heimat aus der politischen Romantik stammt und dass ein Bezug auf Heimat immer regressiv und reaktionär ist, kann man nicht bestätigen, wenn man die Geschichte des Wortes und seiner Verwendung betrachtet.

 

Gibt es denn eine „Heimat“-Definition?

Es gibt naturgemäß sehr viele Definitionen. Vereinfacht: Traditionell wird Heimat definiert als Ort, an dem ein Mensch geboren wurde oder an dem er sich heimisch fühlt; dieser Ort wird verstanden als historisch-geografische und soziokulturelle Lebenswelt. Dagegen wird etwa seit der Jahrtausendwende oft behauptet, Heimat sei kein Ort, sondern ein „Gefühl“, also etwas ganz Individuelles und Subjektives. Aus dieser Sicht wird Heimat gewissermaßen transportabel; diese Art individueller ‚Heimat‘ muss kein Ort sein; manche sagen sogar, auch das Internet oder ein ICE könnten Heimat sein. Ich möchte in meinem Buch aber zeigen, dass der Ort sehr wohl wichtig ist und warum eine zu starke Betonung des Individuellen sogar problematisch sein kann.

Warum?

Es stimmt natürlich, dass jeder Mensch eine ganz persönliche, subjektive Sicht auf seine Heimat hat oder auch darauf, was Heimat für ihn bedeutet. Heimat ist aber auch etwas Intersubjektives, auf das sich Menschen gemeinsam beziehen. Überhaupt hat Heimat mit Beziehung zu tun – Beziehungen zu Orten und anderen Menschen, und so ist Heimat (oder Beheimatung) auch ein Prozess, bei dem auch Zeit und Dauer mit im Spiel sind. An den Orten, also  in den Städten, Dörfern und Gemeinden, in denen wir leben, müssen wir uns darüber verständigen und vielleicht auch streiten, wie diese Orte beschaffen sein sollen. Und diese Orte sind eben nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Bezugspunkte. Ortsbezug oder Ortsbindung ist aber wahrscheinlich eine wichtige Voraussetzung für Partizipation und Engagement. Solche Beziehungen zu Orten und Menschen entstehen aber nicht über Nacht: Sie brauchen Zeit.

Wie ist der Begriff politisch besetzt?

In der Politik ist es für manche ein „Fahnenwort“, für andere wiederum ein „Stigmawort“. Bekannt ist, dass die Parteien aus dem rechten Spektrum Heimat traditionell positiv besetzen: die NPD wie auch die österreichische FPÖ nennen sich ‚Soziale Heimatpartei‘, man kennt auch den rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“. Die politischen Kräfte aus dem linken Spektrum dagegen standen traditionell mit dem Wort eher auf dem Kriegsfuß; es gibt so einen Slogan, den man zuweilen auf Plakaten sieht: „Links ist da, wo keine Heimat ist“. In den letzten Jahren hat sich das allerdings geändert: Sogar auf Wahlplakaten der Linkspartei konnte man nun das Wort „Heimat“ sehen.

  

Sie selbst haben viele Jahre im Ausland gelebt, in England, Australien und Taiwan. Sind sie dort heimisch geworden?

Unterschiedlich: In England habe ich sehr gern gelebt, aber selbst England ist nie „Heimat“ geworden, obwohl ich eine starke Verbindung zur englischen Sprache und Kultur habe und meine Zeit dort unglaublich bereichernd war. Aber ich habe gemerkt, dass ich trotzdem vieles nicht verstanden habe und mir vieles fremd war. Zudem: es liegt ja nicht nur an einem selbst, es ist ein wechselseitiger Prozess – und als jemand, der neu an einem Ort ist, merken auch die anderen, dass man mit den Gepflogenheiten und Normen nicht vertraut ist. Und in Australien und Taiwan war nicht nur die geographische Entfernung zu Europa überdeutlich. Ich finde es bemerkenswert, dass manche Menschen sich anscheinend sehr schnell auch an sehr fremden Orten beheimaten oder zuhause fühlen; mir ist das so nicht gelungen.

 

Wo ist Ihre Heimat?

In gewisser Weise lässt sich, aus eher philosophischer Sicht, sagen, dass jeder Mensch im Lauf des Lebens seine Heimat nach und nach verliert, weil sich die Umwelt über die Zeit verändert – Heimatverlust lässt sich also durchaus auch erleben, ohne dass man umzieht. Meine „alte“ Heimat, also der Ort, der mich und meine Weltsicht geprägt hat, gibt es in diesem Sinn nicht mehr: das alte Westberlin, die halbe „Frontstadt“ im Kalten Krieg. Dennoch ist Berlin – vor allem der Stadtteil, in dem ich seit vielen Jahren lebe, Charlottenburg, Heimat: der Ort, den ich am besten kenne, zugleich auch der Ort, bei dem es mich unmittelbar und stark berührt, wenn ich negative Veränderungen, Mängel oder Probleme wahrnehme.

 

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