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„Ich bin immer frei“

„Es schien, dass viele der kontaktierten Frauen zwar über ihre Vergangenheit sprechen wollten, aber das Gefühl hatten, dass niemand an ihren Geschichten interessiert ist.“

Für ihr wunderbares Fotografieprojekt „Ich bin immer frei“ untersuchte Mila Teshaieva persönliche Erinnerungen aus der DDR Zeit, und legte ihren Fokus dabei auf Frauen, die zwei Gesellschaftssysteme erlebt und durchlebt haben. Dabei standen folgende zwei Fragen im Mittelpunkt: Wie erinnern sich Menschen, deren persönliche Geschichten, Lebensträume und Lebenskämpfe seit Jahren nahezu unsichtbar geworden sind? Und: Wie wollen sie sich erinnern? Zusammen mit den Frauen aus der DDR und Ostdeutschland hat sie davon ausgehenden Fotografien inszeniert.

Ihre Bilder sind tiefgründige Porträts einer Generation, die maßgeblich von der Transformation auf der sozialen, ökonomischen und kulturellen Ebene betroffen gewesen ist. Die Bilder zeigen, was ein solcher „Schock“, so wie es ein Systemwechsel mit all seinen Konsequenzen sein kann, für jede Einzelne bedeutet. Während die einen in der neu gewonnen Freiheit und der neuen Wirtschaftsordnung ankamen und ihren Weg fanden, hatten andere Probleme damit, das alte System hinter sich zu lassen. In der Soziologie wird heute sehr oft über die Hürden und Schwierigkeiten gesprochen, die die Transformationsgeneration, also die Alterskohorte, die die Wende bewusst erlebte, zu spüren bekam. Teshaievas Bilder stellen die Fragen nach den Ursachen und Folgen subtil, aber eindringlich. Doch ein großes Problem war es für die Künstlerin, überhaupt geeignete Protagonistinnen zu finden, die offen für ihre besondere Porträtinszenierung waren.

Die Protagonistinnen in Teshaievas Projekt haben verschiedene Hintergründe und Lebensläufe. Da ist eine Frau, die sich nach Wende ein erfolgreiches Berufsleben aufgebaut hat und heute Projektleiterin in Bauhaus Museums ist. Ihre Fotografie steht neben dem Bild einer Frau, die seit der Wende und der damit einhergehenden ökonomischen Transformation in ihrem Beruf keine Anstellung mehr findet und sich heute als Putzfrau im Frauenzentrum Wolfen ein paar Euro verdient. Eine andere Frau ist Rentnerin, eine andere geht als Jägerin auf die Jagd. Mila Teshaievas Bilder durchbrechen Geschlechtergrenzen, sie hinterfragen und zelebrieren persönliche Biografien und stellen jede der porträtierten Frauen mit ihren individuellen Charakterzügen und Lebenslinien dar. „Jedes einzelne Foto wurde intensiv von mir vorbereitet“, sagt sie dazu. Die fotografischen Inszenierungen der Protagonistinnen basierten auf langen persönlichen Gesprächen, in denen ein „Moment“ entwickelt wurde, der rekreiert werden sollte. Anschließend wurde stets eine Location mit entsprechenden Lichtverhältnissen in Sachsen-Anhalt gesucht, die geeignet ist, die fotografische Performance umzusetzen.

„Der konkrete Prozess des Foto-Shootings mit den Frauen stellte dann tatsächlich eine Kombination aus Fotoshooting, Performance und Therapie dar, denn die fotografierten Frauen wurden tief in den Entstehungsprozess meiner Arbeiten einbezogen, so dass der kreative Prozess zu einer sozialen Skulptur wird, in der sich die Wahrnehmung der eigenen Geschichte, der eigenen Person ein Stück weit verändert.“

Mila Teshaieva, geboren 1974, nutzt Fotografie, um die laufenden Übergangsprozesse im postsowjetischen Gesellschaften zu untersuchen und nimmt dabei oft die Sicht eines neugierigen Forschers ein. Sie arbeitet leidenschaftlich daran, die Traditionen des Erzählens zu überwinden und sie weiterzuentwickeln. Durch neue starke innovative und einfallsreiche Art des Erzählens zieht sie die Aufmerksamkeit auf ihr Thema. In ihrer Arbeit verbindet sie oft eine gründliche wissenschaftliche Forschung mit besonderer Ästhetik und legt für den Betrachter Schichten frei, die es erlauben, die verborgenen Mechanismen der Gesellschaft neu zu bewerten. Mechanismen, durch die Erinnerungen verändert werden und die unmerklich jeden von uns beeinflussen, die wir Menschen sind.

Seit 2004 arbeitet Mila Teshaieva an Langzeitprojekten auf den Gebieten der ehemaligen UdSSR, insbesondere widmete sie die letzten Jahre dem Kaukasus und der Region um das Kaspische Meer. Aus dieser Arbeit ist zum einen ihre erste Monographie „Promising Waters“ hervorgegangen, die 2013 im Kehrer Verlag erschien.



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