Loading...

„Ich habe keine Lieblingssammlung“

Daniela Messerschmidt ist die Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit und Kultur der Lutherstadt Eisleben. Sie spricht im Interview über die Mühe, den verstreuten Fundus der Stadt zu bewahren, über unsachliche Debatten in der Stadtgesellschaft die verhaltenen Reaktionen auf die Pop-Up-Museen.

Kunststiftung: Wie verwaltet und bewahrt man einen Fundus ohne Haus?
Daniela Messerschmidt: Eine Gegenfrage, sollte man einen Fundus verwalten oder bewahren? Einen derart umfangreichen und verstreuten Fundus zu verwalten – oder zu überblicken -, ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir haben in Eisleben einen traurigen IST-Zustand. Ein breit gefächerter Sammlungsbestand, der auf mehrere Standorte verteilt, über die vergangenen Jahrzehnte immer wieder umgezogen ist, umgelagert, ausgelagert, teilweise unter katastrophalen Umständen. Da stößt man verwaltungstechnisch tatsächlich an Grenzen. Ich glaube, man hat in den vergangenen Jahrzehnten bewahren und verwahren verwechselt. Wenn ich nicht in der Lage bin, etwas zu bewahren – sprich für einen Bestand das zu leisten, was er braucht – nicht nur aus konservatorischer Hinsicht -, dann reicht es nicht, ihn einfach zu verwahren. Einfach zu verwahren, heißt, nicht den Mut haben, sich davon zu trennen. Bewahren heißt, sich der Verantwortung vollumfänglich zu stellen. Wenn ich das nicht leisten kann, muss ich mich davon trennen. Es ist immer schmerzlich, etwas aufzugeben. Denn nichts anderes ist es. Und wer gibt schon gerne auf?

Haben Sie selber einen Überblick, wo sich die einzelnen Sammlungen befinden?

D. M.: Sie werden lachen, aber ja, mittlerweile denke ich schon. Also, ich kann mich jetzt nicht für jeden Käfer und für jeden Stein und für jedes Knöchelchen verbürgen, aber, ich weiß, wo ich suchen muss, wenn ich etwas finden möchte. Wenn ich die Käfersammlung suche, schließe ich eine Tür in der Bucherstraße auf, und wenn ich einen Bodenfund brauche, dann ziehe ich mir Anzug und Maske über und suche im Anbau des Stadtarchivs. Wenn ich eine Handschrift oder eine Grafik brauche – frage ich bei den Kolleginnen aus dem Stadtarchiv nach. Glauben Sie mir, ich bin immer jedes Mal froh, wenn ich gefunden habe, was ich suche oder jemand anders gesucht hat. Tatsächlich konnten wir bisher jede Forschungsanfrage bedienen. Manchmal hat es etwas gedauert. Durchs Suchen habe ich viel gelernt. Bei manchen Dingen muss ich allerdings auch passen. Einiges ist über die Jahre – bei all den ganzen Umzügen – ich sag es mal ganz vorsichtig – abhanden gekommen.

Ihre Bewerbung für das Heimatstipendium war die einzige, bei der sich ein Ort ohne ein Museum beworben hat. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
D. M.: Geld kann, Geld darf nie die Lösung für ein Problem sein. Menschen sind die Lösung. Oder besser gesagt, ich scheue mich davor, Fördermittelanträge über zig Millionen für ein neues Museum zu stellen. Ich höre das sehr oft von Leuten – wir brauchen ein Heimatmuseum in Eisleben. Ich sage dann immer, wir haben zwei Museen in Eisleben, reicht das noch nicht? Und auch die kämpfen um Besucher. Ein Museum zu bauen, ist die eine Sache. Steine und Millionen sind schnell verbaut. Es bedarf allerdings mehr, ein Museum mit Leben zu füllen. Das sind Menschen, die dort arbeiten. Neue Ausstellungen konzipieren. Wenn man weiß, was alleine ein Konzept für eine Ausstellung kostet. Und dann die Besucher. Menschen möchten nicht belehrt, sondern unterhalten werden. Immer wieder etwas Neues muss es sein. Da braucht es eine Menge Besucher, damit sich das rechnet, nicht defizitär ist. Entschuldigung, jetzt zurück zu Ihrer Frage: Ich habe die Ausschreibung gesehen, mich hat das Konzept sofort angesprochen. Da sollten keine seitenlangen Anträge ausgefüllt werden. Da ging es darum, Menschen und Museen zueinander zu bringen. Dass wir kein Museum haben, fand ich da nicht hinderlich, sondern eher als USP – ein Alleinstellungsmerkmal mit erhöhter Chance auf Zuschlag. Und es hat ja auch geklappt. In jeder Hinsicht. Wir haben nicht nur kein Museum – wir haben auch einen Künstler gewinnen können, der nicht gegenständlich arbeitet.

Der Eisleber Bestand ist sehr umfangreich. Können Sie sagen, wie viele Exponate es gibt?
D. M.: Wenn wir jeden Käfer zählen und jede Scherbe und jeden Knochen und jede Münze und jeden Stein und jedes Vögelchen … wie viel Zeit haben Sie? Nein, ernsthaft, das möchte ich mir nicht anmaßen, eine Zahl festzulegen. Sagen wir viele. Sehr viele. Zu viele.

Welche ist Ihre Lieblingssammlung?
D. M.: Ich habe keine Lieblingssammlung. Das würde heißen, dass man die eine der anderen vorzieht. Tatsächlich liegt mir jedes einzelne Exponate am Herzen. Da haben Menschen ihr Herz dran gehangen. Das sind Lebenswerke. Was wir hier in Eisleben liegen haben, ist das Ergebnis von fast zweihundert Jahren Sammelleidenschaft und 250.000 Jahren Siedlungsgeschichte. Und da soll ich mich auf eine Lieblingssammlung festlegen?

Die naturkundliche Sammlung wird als nahezu einzigartig in Deutschland beschrieben. Warum?
D. M.: Na ja, jeder Mensch ist einzigartig. Und jede Sammlung ist es eben auch. Weil es jede Sammlung tatsächlich in ihrer Art und Weise nur ein einziges Mal gibt. Das trifft ebenso auf unsere naturkundliche Sammlung zu. Sie ist eben – weil sie von bestimmten Menschen, in einem bestimmten Zeitraum, in einer bestimmten Region mit einer bestimmten Intension gesammelt wurde – einzigartig. Sie werden weltweit nicht zwei identische Sammlungen finden. In sofern ist JEDE Sammlung einzigartig. Was das im Umkehrschluss für uns bedeutet, muss jeder für sich selbst definieren.

Kürzlich wurde in der Eisleber Stadtgesellschaft die Rückholung einer Lenin-Statue diskutiert, kontrovers natürlich. Der Stadtrat hat das Ansinnen abgelehnt. Hätten Sie sich über diesen Zuwachs gefreut?
D. M.: Es geht nicht darum, ob ich mich gefreut hätte. Es geht darum, was man einer Gesellschaft zumuten kann und wie man verantwortungsvoll mit Geschichte und historischen Fakten umgeht. Der Lenin-Diskurs hat mich sehr viel Kraft gekostet. Mir wollte einfach nicht einleuchten, dass es Menschen gibt, die komplett unreflektiert und ignorant und jegliche geschichtlichen Fakten leugnend eine Aufstellung dieses Denkmals fordern. Menschen, die sagen, der Lenin gehört zu uns. Menschen, die um die Anzahl seiner Opfer feilschen. Menschen, die keine, aber auch keine andere Meinung zulassen wollten. Die hitzige und zum Teil sehr unsachliche Debatte war das eigentlich Schlimme, nicht die Aufstellung per se. Das ging hin bis zu persönlichen Beleidigungen. Ein Stadtrat hat es sehr sehr treffend auf den Punkt gebracht – er hat vor der Abstimmung, entsetzt über einzelne Meinungsäußerungen – gesagt: „Ein Denkmal, das die Gesellschaft derart spaltet, möchtet ich nicht in meiner Stadt haben.“ Im Übrigen brauch ich mich nicht über einen Zuwachs freuen. Das Denkmal ist im Eigentum der Stadt. Es ist an das Deutsche Historische Museum in Berlin ausgeliehen. Dort ist es sicher und gut ver- und bewahrt. Dort wird ist das Denkmal in einen historischen Kontext eingebunden. Dort finden eine angemessene Moderation und ein Diskurs statt. Dort wird der Besucher nicht einfach vor ein Denkmal gestellt und alleine gelassen.

Thomas Jeschner hat im vergangenen Jahr ein Pop-up-Museum auf dem Marktplatz aufgebaut. Wie waren die Reaktionen darauf?
D. M.: Zu wenige. Ich hätte mir gewünscht, dass viel mehr Leute den Weg zu uns finden. War ja nicht zu kompliziert. Der Markt ist nicht schwer zu finden. Wir hatten übrigens nicht nur ein Pop-up-Museum seit dieser Zeit. Es kamen noch zwei dazu. Die Reaktionen waren jedes Mal durchweg positiv. Aber eben verhalten. Ich glaube, wir haben uns beide mehr davon erwartet. Da steckt ja auch Arbeit drin. Und Hoffnung. Wie will ich einen Diskurs anschieben, wenn keiner diskutiert? Gepflegtes Desinteresse könnte man resümieren.

Hatten Sie sich das Ergebnis des Heimatstipendiums für Ihre Stadt so vorgestellt, wie es jetzt ist?
D. M.: Ich hatte keine konkrete Vorstellung, keine Erwartungen. Wer Erwartungen hat, kann enttäuscht werden. Das, was wir hier auf die Beine gestellt haben, ist genau so außergewöhnlich wie ein Antrag ohne Museum und die ganze Sammlung per se. Wir haben kein Museum, und Thomas Jeschner ist kein Künstler. Ich weiß gar nicht, ob er sich so bezeichnen würde. Ich nenne ihn seit einem Jahr so. Er nennt mich Chefin. Beides sind wir nicht. Und irgendwie doch schon. Er ist Produzent und Autor und Regisseur und Bergmann und nicht zu vergessen gebürtiger Eislebener und ich Stabsstellenleiterin. Nichts mit Kunst trifft Museum. Gemeinsam, und damit meine ich auch meine Kolleginnen und Kollegen der Stabsstelle, haben wir an einem Projekt gearbeitet. Wir haben an uns gearbeitet, an unserer Sicht auf die Dinge, auf die eigene Arbeit. Was wirklich wichtig ist. Wohin wir wollen. Wir haben an und in den Sammlungen gearbeitet. Es war durchaus ein schöpferischer Prozess. Und manchmal auch ein sehr erschöpfender. Ganz egoistisch, auch wenn das Ihre Frage nicht beantwortet, möchte ich sagen, ich hätte mir für mich und meine Arbeit nichts Besseres vorstellen können.

Zurück zur Übersicht