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„Ich mag den harten Kontrast“

Interview zu „DAS MÄDCHEN K“ mit Franca Bartholomäi – Das Gespräch führten Wilfried Eckstein, Leiter des Goethe Instituts Hanoi, und Manon Bursian, Direktorin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, im Herbst 2018

 

M. Bursian/W. Eckstein: 2017 ist das Goethe-Institut Hanoi an dich mit der Bitte herangetreten, eine Arbeit zu dem vietnamesischen Nationalepos Truyện Kiều – Das Mädchen Kiều – von Nguyễn Du herzustellen. Du hast dir das Buch besorgt und es gelesen. Was war und ist dein Eindruck von der Lektüre? Und von Kieu?

Franca Bartholomäi: Ich war angetan, wie leicht sich das liest. Es ist ja ein Vers-Epos, also eine literarische Form, die hier und heute nicht unbedingt gebräuchlich ist. Aber man steigt schnell ein. Das Buch ist spannend und voller unerwarteter Wendungen. Ich habe es wirklich gern gelesen. Die Sprache wirkt auf jemanden, der mit allen Wassern der zeitgenössischen europäischen Lakonie gewaschen ist, auf den ersten Blick ein wenig – wie soll ich sagen – „blumig“. Aber die starke Bildhaftigkeit kam mir mit meiner Vorliebe für metaphorisch aufgeladene Arrangements letztlich sogar sehr entgegen. Ich habe beim Lesen ständig Bilder vor meinem inneren Augen gesehen – wie z.B. beim Vers 357 „der Fächer mit dem Bild der Sonnenblume“. Da sah ich sofort dieses Mädchen mit dem Sonnenblumengesicht vor mir.

 

Gibt es Textstellen, die dich besonders beeindruckt haben?

Mehrere. Es gab mehre Stellen, die sofort hängengeblieben sind, so z.B. die Formulierung „Ihr Schmerz glich dem der Seidenraupe, der aus dem wunden Leib man roh den Faden reißt“ (Vers 777). Das ist ein starkes Bild, das tut richtig weh. Davon inspiriert sind die Raupen, die ich aus Papier geschnitten habe.

Sehr berührt hat mich die konkrete Begebenheit, als Kiều diesen Krieger – den Feldherrn mit dem Bart eines Tigers –, der sie aus dem Bordell freikauft, ohne es zu wollen und zu wissen, verrät und seinen Feinden ausliefert.

Selbst schuldig zu werden – absichtlich oder nicht –, ist das vielleicht Schlimmste, was einem passieren kann. Und dennoch gehört es zum Grundelend des menschlichen Daseins. Leben heißt, schuldig werden. Handeln heißt, schuldig werden, Entscheidungen treffen…  Das ist etwas, das mich sehr beschäftigt. Davon angeregt sind die Mädchen, die ihr Gesicht unter einer Tüte verbergen.

Viel nachgedacht habe ich auch über das Ende. Ist das nun ein Happyend oder nicht? Kiều übersteht all die Strapazen und Erniedrigungen und kehrt heim zu ihrer Familie. Sie bekommt am Ende sogar, wenn man so will, ihren über alles geliebten Kim. Er ist bereit, sie neben ihrer Schwester Van als Zweitfrau zu nehmen. Doch sie schlägt aus – bzw. schlägt nicht aus. Im Vers 3221 heißt es: „Sie kosteten die Süße ihrer Liebe in der Keuschheit der Freundschaft.“ Das ist ein seltsamer, aber irgendwie glaubhafter Schluss.

Überhaupt ist es diese Spannung zwischen der für den europäischen Leser exotischen Form und der klug komponierten, realistischen Struktur, die mich sehr beeindruckt hat. Kiềus Verhalten wirkt auf mich ambivalent und dadurch menschlich nachvollziehbar. Zum Einen ergibt sie sich demütig ihrem Schicksal, zum anderen verzweifelt sie daran. Und sie agiert auch. Wenn auch leise und zart. Durch ihr künstlerischen Geschick, ihre Gabe, gut schreiben und musizieren zu können, versteht sie, ihr Schicksal mehrmals zum Positiven zu wenden. 

 

Hast du für dich eine Beziehung zwischen dir und KIEU herstellen können?

Schwierige Frage. Wenn man liest, identifiziert bzw. vergleicht man sich automatisch mit der Hauptfigur, auch wenn ich zwischen Kiềus und meiner Lebenswelt kaum Parallelen sehe.

Weit ausgeholt und vielleicht abwegig: Kiều hat sich, um ihre Eltern zu retten, verkauft und wurde zur Prostitution gezwungen, ein fürwahr grausames Schicksal. Prostituierte waren eine Zeitlang ein beliebtes Sujet der bildenden Kunst. Vielleicht einfach deshalb, weil sie sich auch fürs Modellstehen hergaben, vielleicht aber auch, weil das Künstlerdasein gewissermaßen eine Form geistiger Prostitution ist.

Die Liebe und das künstlerische Schaffen sind etwas, das eigentlich im höchsten Maße freiwillig geschehen sollte. „AMO: VOLO UT SIS. Ich liebe: Ich will, dass du bist“, sagt der mittelalterliche Gelehrte Johannes Scotus über den göttlichen Schöpfungsakt. Ich habe diesen Spruch in verschnörkelter Kinderschrift im oberen Bereich des großen Holzschnitts HAIDE eingearbeitet, denn zu träumen und seine eigene kleine Welt zu zeichnen wie ein Kind, empfinde ich als die Idealform meines Kunstschaffens.

Nun ist es aber so, dass man als Künstler wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen unterworfen ist. Von irgendetwas muss man ja leben. Also ist man gezwungen, Sachen zu machen, die man gar nicht machen will – nicht prinzipiell, aber nicht in dem Tempo, nicht zu der Zeit, nicht in der Größe oder nicht in der Technik u.s.w.. Ich denke, jeder kennt das. Aber mit der Inspiration ist es wie mit der wahren Liebe: Sie lässt sich nicht erzwingen. Bestenfalls gelingt es, eine glaubhafte Illusion davon zu vermitteln.

 

Du hast für die Ausstellung in Hanoi den Titel „Das Mädchen K“ gewählt. Es ist nun dein Blick auf KIEU, dein Blick auf die Rolle der Frau, wie sie aus der Lektüre des Epos inspiriert wurde.

Ja, die Entscheidung, im Ausstellungstitel den Namen Kiều nicht auszuschreiben, war eine Form der Aneignung. Ich habe ja keine Illustrationen gemacht, sondern es sind eigene Reflexionen bzw. Assoziationen, die von dem Buch angeregt wurden, aber letztlich darüber hinausgehen. Mir fällt es ehrlich gesagt nicht leicht, zu einem bestimmten vorgegebenen Thema zu arbeiten, weil ich extrem starke innere Bilder mit mir herumtrage. Diese wollen heraus und drängen sich immer in den Vordergrund. Deshalb muss ich einen Auftrag, wenn man es so nennen will, stets lange mit mir herumtragen, um das Thema in meine Welt integrieren zu können, um eine Synthese mit meinen eigenen Bildern zu finden.

 

Kannst du dir vorstellen, dass die Lektüre von KIEU eine Lebenshilfe ist? Oder ist das Versepos eher eine Anklage an die Gesellschaft, was Frauen unter Umständen erleiden müssen?

Ich habe das weder als Lebenshilfe noch als Anklage gelesen. Kiều hadert ja mit dem Schicksal, sie ist echt verzweifelt. Zweimal versucht sie, sich das Leben zu nehmen. Aber immer kommt es zu glücklichen Zufällen, die ihr Geschick in eine bessere Richtung wenden. Wenn uns das etwas lehrt – oder besser gesagt, etwas aufzeigt -, dann, dass Verzweiflung zum Leben gehört. Das ganz große perfekte Glück ist nicht möglich, aber ein kleines, gewissermaßen „beschädigtes“ Glück. Das Buch zeigt auch, dass es so etwas wie Würde gibt. Kiều wird ja aufs Übelste gedemütigt. Dennoch verliert sie ihre Würde niemals, wie vor allem das Ende eindrücklich zeigt.

 

Für „Das Mädchen K“ hast du fast eine Art Bestandsaufnahme deiner Kunst gewagt. Zu sehen sind Holzschnitt und Scherenschnitte in besonders großen Formaten. Wieso hast du dich für diese Kombination aus Scheren-und Holzschnitt entschieden?

Wenn ich ehrlich sein darf, diese Entscheidung war nicht ganz freiwillig. Wilfried Eckstein, Leiter des Goethe-Instituts in Hanoi, hatte sich für den Ausstellungsraum ein neues, möglichst großes Papierschnitt-Ensemble gewünscht. Das kam für mich zu einer Zeit, da war ich mit meinen Papierschnitten an einem Totpunkt. Ich hätte am liebsten nur noch Holzschnitte gemacht. Das ist und bleibt auch die Technik, in der ich mich unangefochten zu Hause fühle. Mehr denn je ist mir bewusst geworden, wie sehr ich doch das begrenzende Geviert der Druckplatte brauche, dieses schützende Gehege. Es ist eine in sich geschlossene Welt im Kleinen, die ich mir schaffe. Die Öffnung in den Raum bzw. in die gesamte Wandfläche ist zwar reizvoll, doch sie entspricht nicht meinem Naturell. Wohl deshalb baue ich in meine Papierschnitte fast immer Raster und Rechtecke ein.

 

Warum sind praktisch alle deine Arbeiten in schwarz-weiß gehalten?

Ich mag den harten Kontrast, diese Reduktion. Für mich ist das ein Gegenpol zu der Übermacht an bunten Bildern, mit denen man tagtäglich konfrontiert wird – ein Ruhepol, den ich mir selbst schaffe, den ich aber auch dem Betrachter anbieten möchte.

 

Was möchtest Du den Besuchern mit dieser Ausstellung auf den Weg geben?

Es gibt keine richtige oder falsche Weise, meine Arbeiten zu sehen. Sie sind eine Einladung zum Weiterdenken, zum Assoziieren und Träumen. Wenn jemand etwas ganz Eigenes darin erkennt, so ist das vollkommen in Ordnung.

 

Welche Bedeutung haben Tiere für dich?

Tiere sind für mich ein ganz großes Thema. Von Anfang an. Schon als Kind habe ich am liebsten Tiere gezeichnet. Als Kind hatte ich mir eine komplexe Traumwelt erschaffen, in der Tiere bzw. Mischwesen aus Tier und Mensch die Hauptakteure waren. Jede Tierart war mit bestimmten übermenschlichen Qualitäten ausgestattet, die Vögel z.B. mit Zauberkräften und der Gabe, zwischen den Welten zu wechseln. Katzen und Hunde waren die Tröster und Retter, Pferde die Wächter. Letztere stellten aber auch die Zauberkräfte her. Alles war mit allem verbunden. Von dieser Welt zehre ich noch heute. Zum Glück haben meine Eltern einen Großteil der Zeichnungen aufgehoben. Nach wie vor sind mir Tiere sehr nahe. In ihrer Gegenwart fühle ich mich wohl, auf eine ganz besondere Art geborgen. Ich selbst habe zwei Katzen – oder besser gesagt, die beiden haben mich. Es ist eine spezielle Art der Kommunikation, die wir mit Tieren führen, sehr tief, sehr urtümlich.

 

vita

1975 in Hohenmölsen geboren | 1994 – 2003 Studium und Aufbaustudium an der Burg Giebichenstein – Hochschule für Kunst und Design Halle, Studienrichtung Grafik bei Prof. Thomas Rug | 2005 Schleswig-Holstein-Stipendium GEDOK-Haus, Lübeck | seit 2005 Mitglied der Vereinigung Internationaler Holzschneider XYLON | 2006 New-York-Stipendium für das ISCP der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt | 2009 Stipendium des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop, Land Mecklenburg-Vorpommern | 2009 Siegerin im Wettbewerb zur Neugestaltung des Katharinenaltars im Dom zu Magdeburg, ausgeschrieben durch die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt | seit 2010 Lehrauftrag für Holzschnitt an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle | 2011 Erster Preis der Hauptjury der 16. Internationalen Grafik-Triennale in Frechen | zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen u. a. 2010 im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigsburg und in der Stage Back-Gallery in Shanghai (China), 2012 „Neue Linien“ im Kunst-Raum des Bundestages, 2014 „ApocalyptiCAT“ am Goethe-Institut Washington (USA), 2015 Grafik-Triennale Krakau (Polen), 2016 „Holzschnitt, heute 2016“ in der Kreissparkasse Ludwigsburg, 2017 „Von Tieren, die träumen“ im Gutenberg-Museum Mainz sowie Finalistinnen Ausstellung Gabriele Münter-Preis in der Akademie der Künste in Berlin und „APOCALYPSE NOW“ im Cranach-Haus Wittenberg, 2018 „Wenn die anderen feiern“ im Kunstraum NeuDeli Leipzig, 2019 „100 Jahre Frauenwahlrecht“ im Deutschen Bundestag | 2013 Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt | Mainzer Stadtdruckerpreis 2016/2017 | 2017 Erster Nordhäuser Grafikpreis der Ilsetraut Glock-Grabe Stiftung | 2020 Erster Preis beim Internationalen Lucas-Cranach-Preis der Stadt Kronach | lebt und arbeitet als Grafikerin in Halle (Saale)  

 

Publikationen: Franca Bartholomäi. Holzschnitte, vorgestellt von Manon Bursian (Signifikante Signaturen), Dresden, 2007 Franca Bartholomäi. Kulissenkinder (Backstage Children), Katalog zur Ausstellung in der StageBack-Gallery, Shanghai, 2010

 

 

 

 

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