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Inspiriert von „Die blaue Stunde“ und von Elsa Asenijeff – Mariechen Danz, Dom und Klinger-Haus

„Die blaue Stunde“, 1890, Öl, Sammlung des Museums für Bildende Künste Leipzig

Drei nackte Frauen liegen, sitzen, stehen auf einer Felsgruppe vor dem Meer. Im Dämmerlicht, der „blauen Stunde“. Ein nicht sichtbares Feuer beleuchtet ihre Körper, hüllt sie in ein oranges Licht. Der weibliche Körper, ohne geschichtlichen oder mythologischen Hintergrund, nackt und eingebettet in die Umgebung. Dieser unverfangene Blick auf den menschlichen Körper war ein wichtiges künstlerisches Anliegen des Malers; diese freie Aktkomposition eines seiner zentralen Werke.

 

Während der – verführerische oder vergewaltigte – Frauenkörper für Klinger zeitlebens ein vor allem durch die Macht der Erotik gewaltig aufgeladenes Motiv war, steht bei Mariechen Danz der informierte Körper im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Es geht ihr um das Verhältnis von menschlicher Innen- und Außenwelt – das Verorten von Wissenssystemen, Geschichte, Politik, Kultur und Sozialisation durch Ablagerung im Körper. In der Krypta des Naumburger Doms steht eines ihrer zentralen Werke, die Skulptur „WOMB TOMB“: ein lebensgroßer, geschlechtsloser, aufgebahrter thermodynamischer Körper, in dem Herz, Lungenflügel und Darm als Organe aufscheinen. Es ist – ganz entgegen der üblichen Ausstellungsregeln – ein Körper/Werk zum Anfassen. Durch Berührung und Veränderung der Raumtemperatur werden inliegende organische Mikrostrukturen sichtbar, und es verändern sich die Farbigkeiten des Leibes. „WOMB TOMB“ vereint den Anfang und das Ende des menschlichen Lebens (Gebärmutter und Tod) und sucht nach Austausch mit den Lebenden. Es ist zugleich ein Körper, in den biologische und geologische Abläufe eingeschrieben sind, kulturelle Zuordnungen und technologische Entwicklungen. In den Vitrinen des Domschatzgewölbes im Untergeschoss ruhen – neben der Johannesschale aus dem 13. Jahrhundert, einer Votivgabe gegen Kopf- und Halskrankheiten – einzelne glühende Organe. Halbedelsteine sind in das transparente Kunstharz eingeschlossen und geben ihnen die Eigenschaft von Fossilien. Mariechen Danz kartografiert Körper wie Landschaften und deren anhaltenden Wandel.

 

Elsa Asenijeff, Schriftstellerin und langjährige Lebensgefährtin Klingers

Die geborene Elsa Maria Packeny lernte Klinger vermutlich 1897 in Leipzig kennen. Die damals 30jährige, studierte Philosophin und Psychologin, war eine eigenständige Persönlichkeit, sie war Frauenrechtlerin und Intellektuelle, Mutter, Ehefrau und Geliebte. Klinger hat sie mehrfach dargestellt – so ist beispielsweise ein Kinderporträt von ihr aus Elfenbein im Thron von Beethoven zu finden. Die Familie Klingers schätzte die Beziehung der beiden nicht sonderlich – umso mehr genoss er den Rückzugsort auf seinem Weinberg in Großjena, wo auch Elsa Asenijeff ihr eigenes Refugium hatte. Nachdem Klinger Gertrud Bock kennengelernt hatte, nahmen die Streitigkeiten zwischen den Partnern, die eine gemeinsame Tochter hatten, immer mehr zu. 1914 verließ Elsa Asenijeff das Haus, wurde aber weiterhin von Klinger unterstützt. Nach Klingers Tod fehlte dieser Schutz – ein Entmündigungsverfahren und die Zwangseinweisung in die Nervenklinik Leipzig wegen des Verdachts auf Schizophrenie folgten. Bis zu ihrem Tod 1941 lebte sie in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten.

Im Klinger-Haus nimmt Mariechen Danz mit bedruckten Körper-Kostümen Bezug auf einen wissensgeprägten weiblichen Körper, den der Elsa Asenijeff. Mariechen Danz verwendet ihre mit eigenen Zeichnungen auf Seide bedruckten Kostüme meist in ihren Performances. Die Stoffe tragen eine Fülle von fragmentierten Zeichen, die aus verschiedenen Lebens-, Erfahrungs- und Wissensbereichen stammen. Mariechen Danz interessiert sich für die subjektiven Möglichkeiten und Grenzen dieser Austauschprozesse, für jene unausgesprochene Zone zwischen Vernunft und Emotion – die auch für Elsa Asenijeff ein Ausgangspunkt ihrer poetischen Sprache gewesen sein mag.

 

Vita

Mariechen Danz wurde 1980 in Dublin (Irland) geboren. Sie studierte an der Universität der Künste in Berlin, an der Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam und am California Institute of the Arts, Valencia, USA. Sie lebt in Berlin. In den vergangenen zehn Jahren nahm sie an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil, so 2011 an „based in Berlin“; 2016 an „Polyphonies“ im Centre Pompidou, Paris; 2018 an „Blind Faith: Zeitgenössische Kunst zwischen Intuition und Reflexion“ im Haus der Kunst, München; 2018 an „Agora on The High Line“, New York. 2019 war sie zur 16. Biennale in Istanbul eingeladen, 2017 beteiligte sie sich mit einer großen Rauminstallation an der zentralen Ausstellung »Viva Arte Viva« der 57. Biennale von Venedig. 2013 wurde Mariechen Danz mit dem Villa Romana-Preis ausgezeichnet.

https://www.villaromana.org/front_content.php?idart=485

Mariechen Danz: Liver fossil., 2018

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