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Landschaften über strahlender Gefahr

Seit 2011 arbeiten Saori Kaneko und Richard Welz gemeinsam an dem Projekt „MADE BY US – Radioaktive Strahlung in Deutschland und Japan“. Dabei widmeten sie sich beispielsweise Fukushima, aber auch dem Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM). Dieses wurde auf Geheiß der DDR-Regierung 1971 im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Bartensleben (Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt) eingerichtet. Bis zur Beendigung des Einlagerungsbetriebs 1998 wurden dorthin fast 37.000 m³ niedrig- und mittelradioaktive Abfälle verbracht – heute umfasst die Gesamtaktivität 380 TBq.

Die in der Ausstellung präsentierte Arbeit „SALZPANORAMA I – ALLERTAL“ zeigt einen 360°-Rundumblick bei Morsleben. Aus vielen Fotografien der profanen Landschaft wurde die Aufnahme ausgewählt, auf der das einzige offensichtliche Indiz für Bergbau und ERAM zu sehen ist: der Förderturm der Schachtanlage Bartensleben. Das Motiv wurde in einer aufwendigen Art Lasur-Technik mit Salz aus dem Bergwerk Morsleben und Epoxydharz mehrschichtig auf Acrylplatten aufgetragen und versiegelt. So hat nicht nur das Motiv, sondern auch die Technik einen engen Bezug zum ERAM. Zudem spielt die Arbeit mit der Idee, etwas zu sehen, das nicht sichtbar ist.

Banal wirken die gezeigten fotografierten Landschaften der Reihe „ERAM – FELDBILDER“. Ihre exakten geografischen Daten lassen tief Verborgenes orten: die Lagerkammern von radioaktivem Material. Ohne Hintergrundwissen hat der Bildgegenstand keinerlei Bedeutung. Doch die Landschaft verdeckt lediglich die strahlende Gefahr. Die dokumentarische Darstellungsweise macht diese Orte zu „Tatorten“.

Mit der Werkserie „MADE BY US“ setzen sich Richard Welz und Saori Kaneko mit einem Thema auseinander, das auch momentan die Menschen und Regierungen in ganz Europa bewegt: Wie soll es mit der Atomkraft weitergehen, nicht nur im Angesicht der Energiekrise, sondern auch aufgrund des Klimawandels? Ist die Atomkraft eine saubere oder gefährliche Form der Energiegewinnung? Das Kunstprojekt von Saori Kaneko und Richard Welz soll zum Nachdenken anregen und die unsichtbare Strahlung zeigen. Im Interview berichten die beiden Künstler davon, wie sie auf die Idee für die Reihe kamen und was Atomkraft für sie persönlich bedeutet.

 

Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv mit Atomkraft und dem Problem der Endlagerung in ihren Arbeiten auseinandersetzen?

Saori: 2010 habe ich mein Studium an der Bauhaus-Universität in Weimar begonnen. Ein Jahr später folgte die Katastrophe von Fukushima. Das war der Auslöser, sich intensiver mit der Frage nach atomarer Strahlung auseinanderzusetzen.

Welz: Schon früh haben wir ein großes fotografisches Interesse an der Radioaktivität entwickelt. Wir wollten seit 2011 die Strahlung sichtbar machen und aufzeigen, wie diese energiereiche Strahlung in ein Bild übersetzt werden kann. Deswegen haben wir erst mit Studien angefangen und dabei mit Röntgenmaterial gearbeitet, wo mit Strahlung ein Bild erzeugt wird. Es interessiert uns als Künstler, scheinbar Unsichtbares sichtbar zu machen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Welz: Wir haben in der Natur die dünnen Röntgenblätter ausgelegt. Je höher die Strahlung in einem Bereich ist, umso mehr Lichtpunkte entstehen. Sind es viele Punkte, entstehen gar Flächen und dadurch dann schlussendlich ein Bild. In meiner WG in Weimar waren deutlich weniger Punkte zu sehen, als in den Wäldern um Fukushima. Das deutet auf eine viel höhere Strahlenbelastung.

Saori: Das war ein sehr wissenschaftliches Vorgehen. Wir haben uns sehr stark eingelesen, insbesondere in die Fototechnik. Die Punkte auf dem Röntgenmaterial haben wir auf Dias umkopiert und auf nachtleuchtenden Tafeln, die in der Dunkelheit von selbst leuchten. Das Bild der Strahlung verliert sich durch das Nachtleuchten. Die Arbeiten sind dadurch Medienreflexiv, was bedeutet, dass sie eine Halbwertzeit haben.

Welche Gefahr geht von radioaktiver Strahlung und Atomkraft Ihrer Meinung nach aus?

Welz: Wir haben beide da sehr unterschiedliche Ansichten. Wie jetzt auch in der Ukraine sichtbar wird, kann friedliche Atomenergie zweckentfremdet werden und ein Mittel der Erpressung sein oder für militärische Zwecke genutzt werden. Für mich ist Atomkraft deshalb keine Energiealternative. Ich finde es sehr schwierig, dass das wieder diskutiert wird. Es ist wirklich primitiv, dass Menschen Energie erzeugen indem sie mit Brennstäben Wasser zum Kochen bringen. Da gibt es heutzutage viel bessere Wege sauber Energie zu gewinnen.

Saori: Atomkraft hat für mich zwei sehr unterschiedliche Seiten: Radioaktivität ist in vielen Bereichen wie der Medizin, der Wissenschaft oder der Industrie sehr hilfreich und hat Fortschritt mit sich gebracht. Andererseits sind Atomwaffen der absolute menschliche Abgrund, da sie einfach alles zerstören können. Die Strahlung ist wahnsinnig interessant und gefährlich zugleich. Für unsere Serie haben wir auch die Wismut in Thüringen besucht, wo über Jahrzehnte Uran abgebaut wurde. Besonders der Umgang mit den Überresten dieses Abbaus, der Beseitigungsprozess, hatte viele Ähnlichkeiten mit dem Beseitigungsprozess der radioaktiven Trümmer und Abfälle in Fukushima. Die Erde wird gesammelt, dann über Jahre beobachtet, dann weiterverwendet oder an einen Ort zur Endlagerung verbracht. Das ist überall auf der Welt der gleiche Ablauf.

Wie war das für sie in Fukushima zu sein, an dem Ort einer der größten modernen Katastrophen der letzten Jahrzehnte?

Welz: Es war ein sehr ambivalentes Gefühl was wir dort hatten. Besonders eindringlich wurde dieses Gefühl in einem Ort nördlich von Fukushima, der durch den Tsunami vollständig zerstört und nicht wiederaufgebaut wurde. Die Landschaft erinnerte stark an die Elbwiesen bei Wittenberg. Es gab mal tieferes und dann wieder flacheres Wasser. Dann wieder Senken und mäandernde Flussläufe. An diesem Ort gab es einen riesigen Friedhof. Er war sozusagen das Symbol dafür, wie sich die Natur durch eine schreckliche Katastrophe ihren Raum zurückgeholt hat. Und dort wurde uns auch bewusst, dass es diese Naturkatastrophe war, die auch das von Menschen gebaute Atomkraftwerk zerstört hat.

Saori: Heutzutage wird oft die Ästhetik verlassener Orte in der Kunst dargestellt, zum Beispiel von Tschernobyl und den umgebenden Gemeinden. Darum ging es uns allerding nicht. Wir haben an diesem Ort eine Naturgewalt gespürt, die eine ganz andere Kategorie ist, eine höhere Macht. Ohne diese Reise nach Fukushima hätten wir die Dinge nicht verstanden und hätten auch nicht herausgefunden, wie interessant und wirkmächtig radioaktive Strahlung sein kann.

Warum sind nun die Endlagerungsstätten von radioaktivem Abfall im Mittelpunkt Ihrer Arbeiten?

Wie gesagt ist die Strahlung nicht sichtbar und greifbar für die Menschen und dennoch werden diese Überreste über Jahrzehnte aufbewahrt. Morsleben und diese ganzen anderen Orte stehen für die Endprodukte der Atomkraft – diese ungreifbare Gewalt, das Trügerische, das Unsichtbare an dieser Strahlung und die Gefahr, die von ihr auch Jahrzehnte später nach ihrer Nutzung ausgeht.

An welchen Projekten arbeiten Sie im Moment?

Gerade interessieren wir uns sehr für den Bergbau und fertigen dazu gerade ein großes Buch. Auch in dieser Serie geht es insbesondere um die Endlager von Atommüll und Radioaktivität – um Morsleben, Asse und Konrad beispielsweise. Es ist sozusagen eine fotografische Reise an die verschiedenen Endlagerorte in Deutschland.

 

Das Gemeinschaftsprojekt MADE BY US wurde von Saori Kaneko und Richard Welz 2011 ins Leben gerufen. Richard Welz wurde 1989 in Wittenberg geboren und erhielt 2015 sein Diplom in Freier Kunst von der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar. Saori Kaneko wurde 1976 in Tokio geboren. Von der Joshibi University of Art and Design erhielt sie einen Bachelor in Malerei. 2015 machte sie ihr Diplom in Freier Kunst an der Bauhau-Universität in Weimar. Sie leben und arbeiten heute in Leipzig.



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