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Living like Dieckmann

Margit Jäschke und Stephan Schulz haben in den Räumen der Kunststiftung ein Zimmer mit nachgebauten Möbeln des Designers eingerichtet und mit aktuellen Designpositionen kombiniert.

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Die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt nähert sich dem Werk Erich Dieckmanns mit einem eigenen Ausstellungsformat, in dem die Möbel von Erich Dieckmann reproduziert, neu inszeniert und – benutzt, ja „besetzt“ werden dürfen. Die Präsentation findet parallel zur Dieckmann-Ausstellung statt. Mehrere Möbelstücke werden nach Original-Entwürfen nachgebaut. Die Künstlerin Margit Jäschke und der Designer Stephan Schulz entwickeln dazu ein aktuelles Raumkonzept. Sie sind dabei der Frage nachgegangen, wie man im 21. Jahrhundert nachhaltig, kunstvoll und nützlich Alltagsgegenstände entwirft und realisiert, die unser unmittelbares Lebensumfeld betreffen.

Beide haben sich entschieden, keinen klar definierten Funktionsraum zu entwerfen, in dem die Dieckmann-Möbel präsentiert werden. Stephan Schulz erläutert: „Wir stellen uns eine Wohnlandschaft vor, die nicht einer klassischen Zimmeratmosphäre zuzurechnen ist. Es wird um das Erleben von Dieckmanns Sitzmöbeln gehen, das Entdecken von Materialien und Farben in Konstellation mit inhaltlichen Zitaten zum Werk und zum Wirken.“ Auch Margit Jäschke bekräftigt: „Wir waren uns eigentlich sehr schnell einig, dass wir einen multifunktionalen Raum wollen.“ Die Einteilung der Räume nach Funktionen, die es im frühen 20. Jahrhundert noch gab, sei heute in dieser Strenge nicht mehr üblich: „Im Normalfall ist heute vieles aufgeweicht. Oft sind Küchen und Wohnräume miteinander verbunden.“ Kinderzimmer gebe es zwar noch, aber ihre Spielwelt sei nicht mehr strikt auf diese Räume eingegrenzt.

 

„Viele haben sich bei ihm bedient.“ (Stephan Schulz)

 

Beide Künstler sind Absolventen der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. (…) In dem von Stephan Schulz und Margit Jäschke gestalteten Raum soll die Wirkung von Möbeln für die Besucherinnen und Besucher erfahrbar sein, sie dürfen dort lesen und liegen. In der eigenen Wohnung wird man sich dessen meist nicht mehr bewusst, so Schulz, aber: „Möbel beeinflussen unser Leben massiv. Wir sitzen auf ihnen, schlafen auf ihnen, ihre Materialoberflächen kommen uns so nahe wie sonst nur unsere Kleider oder nahestehende Personen.“ Beide Künstler distanzieren sich aber von der Idee, man könne mit Design Menschen „formen“. Margit Jäschke fasst es zusammen: „Ich möchte nicht erziehen. Es gibt Räume in LIVING LIKE DIECKMANN, in denen man sich gut und aufgehoben fühlt.“ So ein Raum wird in der Ausstellung entstehen. Diese Orientierung am Menschen und nicht an einer reinen Lehre oder auch am Dogma sei eben auch das, was Dieckmann als Bauhaus-Designer so besonders mache, ist Schulz sicher: „Seine Entwürfe haben etwas Aufbauendes, etwas Additives, die Konstruktion Offenlegendes. Diese Einfachheit wirkt bei ihm aber nicht kalt oder dem Nutzer fremd. Er hat sehr nahe am Menschen gestaltet, Ergonomie und Nutzerverhalten abgeglichen und in den Entwurfsprozess mit eingebunden. Wir nennen das heute ,Usability’ oder die ,User Experience’. Die war bei seinen Entwürfen gerade bei einigen Sitzmöbeln stärker von Bedeutung als eventuell beim B83 von Marcel Breuer.“ Dadurch wirkten seine Zimmer vielleicht weniger avantgardistisch, sie seien aber eben wirklich bewohnt worden. (…) Mit ihrem Raum möchten die Künstler die Bedeutung Dieckmanns sinnlich erfahrbar machen. Zwar sei Dieckmann nicht wirklich „vergessen“ gewesen und immer noch rezipiert worden, korrigiert Schulz gängige Vorstellungen: „Erich Dieckmann war durch seine 1931 erschienene Publikation ,Möbelbau in Holz, Rohr, Stahl’ nie ganz verschwunden. Damit schuf er eine Grundlage, die bis heute nichts an Gültigkeit eingebüßt hat.“ Aber seine Ausgrenzung nach 1933, die existenzielle Bedrohung für ihn und seine vierköpfige Familie sowie sein früher Tod hätten doch die Anerkennung nach dem Zweiten Weltkrieg verhindert: „Viele haben sich bei ihm bedient.“ Seine grundlegenden Typen, seine archetypischen Entwürfe seien im Nachgang häufig kopiert worden, doch der Name Dieckmann wurde häufig weggelassen: „Tote können sich nicht wehren.“ (…) Als Beispiel für frühe Aneignung nennt sie Dieckmanns ineinander stellbare Satztische: „Die gibt es nahezu identisch in Farbe von Josef Albers.“ Nach 1945 ließen sich, so Schulz, beispielsweise bei Möbelentwürfen von Donald Judd Einflüsse von Dieckmann erkennen. Nicht nur deshalb gehört Dieckmann nach Ansicht beider Künstler im Kontext des 20. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Gestaltern in Deutschland. (…)

Die Tatsache, dass Erich Dieckmann nicht den Ruhm erhalten hat, der ihm gebührt, wollen die beiden Künstler anhand von Beispielen aus der Designgeschichte zeigen. (…) Mit einer Kollektion von Decken, auf denen die Initialen „ED“ einer bekannten Modemarke nachempfunden werden. Dieckmann wird so zum „Editor“ und bekommt nun spät ein Logo, ohne das Markenbildung in der heutigen Welt kaum noch möglich ist. (…)

Manon Bursian und Matthias Heine

 

Gekürzte Fassung – der vollständige Text ist zu finden im Katalog, der begleitend zur Ausstellung „STÜHLE! DIECKMANN! DER VERGESSENE BAUHÄUSLER ERICH DIECKMANN“ erschienen ist.

Am Neuwerk 11: Living like Dieckmann von Margit Jäschke und Stephan Schulz (Foto: Matthias Ritzmann)

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