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Matthias Jügler – Ein Kleingärtner

Im November vergangenen Jahres habe ich mir zusammen mit Susann einen Garten angeschafft. Meine Idee war das nicht gewesen, aber weil Susann so vehement darauf bestanden hatte, habe ich schließlich eingewilligt – unter der Bedingung, dass ich keinen Finger rühren muss und der Garten für mich ausschließlich Ort zum Schreiben oder Kaffeetrinken oder Ihr-bei-der-Arbeit-Zusehen ist. Das war in Zeiten, da Corona nur ein Bier war, an dem ich mit großem Abstand im Supermarkt vorbeigegangen bin.

Nun hatten wir also diesen Garten, der Winter verging, ich hatte unsere Parzelle fast schon vergessen, als mich Susann darauf aufmerksam machte, dass wir nun so langsam mit der Arbeit beginnen müssten: Die Hütte muss entrümpelt werden, das stinkende Chemieklo aus dem Anbau – schnell weg damit! Das mannshohe Schilf, das inmitten der Wiese wuchert: raus, alles! Ebenso die Blumen, die giftig sind, wie uns eine Gartennachbarin am Zaun stehend sagte – dabei unheilvoll auf unsere Kinder blickend, die gerade an Steinen leckten und dumm grinsten. Die maroden Latten des Baumhauses müssen ausgetauscht werden. Die Hütte? Pfui, wie das aussieht! Streichen! Sichtschutz? Am Zaun brauchen wir einen Sichtschutz! Die Erdbeerpflanzen sind alt, die tragen nicht mehr. Raus damit, neue rein. Überhaupt: Zeit, die Samen in die Anzuchterde zu bringen, damit Mitte Mai alles in die Beete kann. Beete? Betonplatten weg, umgraben, alles! Und so weiter, und so weiter.

Es gibt Leute, die sagen, die Pandemie, die fehlende Kinderbetreuung, all das habe ihr Liebesleben ins Wanken gebracht. Trennung, Scheidung, böse Briefe. Wenn es bei uns eine Krise gab, dann ganz sicher ein paar Wochen, bevor alles von Corona sprach. Genauer gesagt an jenem Zeitpunkt, da ich feststellen musste: Susann hatte mich an der Nase herumgeführt. Ich kann mich doch nicht vor der Arbeit drücken. Ich redete ein paar Tage kein Wort mit ihr. Zumindest hatte ich es mir vorgenommen.

Dann verbreitete sich der Virus, schließlich kamen die Kontaktverbote, die Kita meines Sohnes machte zu, die Leute hamsterten, mein Nachbar, ein seriös aussehender, gutmütiger Mann mittleren Alters, kaufte sechsundzwanzig Dosen Hundefutter – irgendwann werde ich ihn fragen, was er, haustierlos wohlgemerkt, damit eigentlich wollte – und wir waren in unserer Wohnung gefangen, hatten miese Laune, waren genervt von unseren immer weinenden, immer unterforderten YouTube-Kinderfilm-süchtigen Kindern und schlidderten schnurstracks auf eine Ehekrise zu.

Dieser Zustand hielt ungefähr fünfzehn Minuten an. Dann sagte ich etwas, das selbst mich überraschte: Lasst uns den Garten auf Vordermann bringen! Und das machten wir auch. Laut Verordnung des Freistaats Sachsen war das legal, ein triftiger Grund also, das Haus zu verlassen, jedenfalls solange wir dort für uns waren. Das roch nach Freiheit, irgendwie, immerhin, und überhaupt. So zupfte ich Unkraut, anstatt mit anderen Fußball zu spielen, schnitt Büsche zurück, anstatt mit Freunden zusammen zu sein, und so weiter, und so weiter.

Eine wundersame Verwandlung hat da begonnen. Ich bin innerhalb weniger Tage vom Kleingartenmuffel zum Auberginenvorzieher und Gewächshausbauer geworden.

Vor ein paar Tagen regnete es heftig, Susann und die Kinder saßen im Wohnzimmer, tranken lauwarmen Tee und puzzelten. Obwohl an Gartenarbeit nicht zu denken war, habe ich mich aufs Rad geschwungen und bin zu meinen Jungpflanzen gefahren – Tomate, Paprika, Aubergine, Kürbis, Bohne, Süßkartoffel und vieles mehr – und habe sie mir angesehen, nichts weiter gemacht als genau das, wurde von Kopf bis Fuß nass dabei, und bin dann euphorisiert über das Wachstum, für das ich (und Susann, zugegeben) verantwortlich waren, wieder nach Hause gefahren.

Covid-19, nein, da gibt es nichts schönzureden, das ist und bleibt großer Mist, das verändert die Welt sicher nicht zum Positiven. Aber ich, immerhin, habe mich verändert, bin endlich kein Stubenhocker mehr, sondern das, wovon meine Mutter immer schon geträumt hat, als sie mich im Kindesalter zum Unkrautzupfen verdonnert hat: ein Kleingärtner.

Schreiben in Zeiten von Corona (Zeichnung: Sebastian Gerstengarbe)

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