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Ein Getriebener

„Die Bilder von Harald Döring hatte ich lange Zeit nicht gesehen, und so stellte sich mir die Frage, was gute Kunst eigentlich ausmacht, was sind die Kriterien? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht.

Es sind verschiedene Kriterien, die immer auch mit Erfahrungen und Neigungen ihres Schöpfers wie dessen Gegenüber, also dem Betrachter, zu tun haben. E i n Kriterium ist ganz sicher die Zeitbezogenheit des Werkes, seine Authentizität, die aber über die jeweilige Zeit hinaus Gültigkeit behält, behalten kann – und interessant bleibt.

Das Gesamtwerk von Harald Döring ist ein erneuter Beweis dafür, dass auch oder gerade innerhalb der eingeschränkten Möglichkeiten, in einem Staat wie der DDR, sehr wohl gute und nachhaltige Kunst entstehen konnte – abseits der „Diktatur des Proletariats“ und des staatlich erwarteten „sozialistischen Realismus“. Das bedeutet für Dörings Schaffen: Sieht man sein Oeuvre, hauptsächlich in den 1970er Jahren entstanden, mit heutigen Augen, mit historischem Abstand, haben seine Arbeiten nichts an Aussagekraft und an Aktualität verloren. Die Grundverhältnisse der Menschen zueinander und zur Natur sind unzulänglich geblieben – gemessen an allen bisherigen Utopien und Menschheitsidealen –, die Unachtsamkeit gegenüber der Umwelt stürzt die Menschheit zunehmend in Katastrophen.

Diese Atmosphäre, verbunden mit seiner eigenwilligen verwischten Farbgebung und distanzierten Formsprache, machen das Besondere in Dörings Werk aus. Man fühlt sich in einen Bann gezogen, dem man entfliehen will, der einen aber immer wieder einholt. …

… Die kulturpolitischen Debatten liefen schon damals an der Lebenswelt des Künstlers vorbei. Er war ein Getriebener, der nur seinem inneren eigenen Auftrag folgte, und dieser Auftrag entsprach dem Identitätsgefüge seiner Werke. Es ging ihm ständig um Grenzzustände zwischen Leben und Tod, Gewalt und Sehnsucht. Das eine brach immer neu aus ihm heraus, das andere – eine Erfüllung von Lebenswünschen, der Zustand eines gelungenen, gar geglückten Daseins – wurde nie erreicht. Die künstlerische Intensität schwankte somit beständig zwischen Schrecklichem und Erhabenem. Was blieb, war eine große Einsamkeit. …

Gabriele Muschter, Berlin

(aus: Katalog: Harald Döring, Malerei und Zeichnungen, 168 Seiten)

Harald Döring (1941 - 1997) l Der Maler l 1972 l 110 x 122 cm l Öl auf Hartfaser l Bezeichnet: u. r.: Döring 72 l

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