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IM KAUKASUS. Auf den Spuren von Heinrich Theodor Wehle

Sophie Natuschke & Florian Bielefeldt

Die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau und die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt laden ein zur Präsentation der Arbeitsergebnisse des „Heinrich-Theodor-Wehle Stipendiums“ der Kunststiftung. 

Zur Eröffnung am 27. September 2007 um 16.00 Uhr in der Graphischen Sammlung der Anhaltischen Gemäldegalerie im Fremdenhaus, Georgenallee 100, in Dessau, spricht der Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz.

Dauer der Ausstellung: 28. September bis 4. November 2007

IM KAUKASUS. Auf den Spuren von Heinrich Theodor Wehle. 
Oder wie Landschaften, Kulturen, Institutionen und Künstler sich auf neuen Wegen begegnen.

Die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt und die Stiftung für das sorbische Volk schrieben 2006 zwei Stipendien für Armenien aus. Ausgangspunkt der Zusammenarbeit war der sorbische Zeichner Heinrich Theodor Wehle, der um 1800 in beiden heutigen Bundesländern Sachsen und Sachsen-Anhalt tätig gewesen ist und zugleich der erste Europäer war, der als Künstler im Zusammenhang mit einer Expedition den Kaukasus und Armenien bereiste. Von dort brachte er ein kostbares Konvolut von Landschaftszeichnungen in seine Heimat mit, dessen Hauptteil im Stadtmuseum Bautzen und in der Hamburger Kunsthalle bewahrt wird. 2005 wurde das Schaffen Wehles mit einer Ausstellung und einer umfassenden Publikation ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückgehoben. Anlass genug, dass Sachsen-Anhalt, Repräsentant der Bundesrepublik in einem Kulturabkommen mit Armenien, die seit 1998 bestehende Partnerschaft zwischen den beiden Nationen mit einer besonderen Initiative zu beleben unternahm und bei der Gelegenheit eine Kooperation zwischen zwei deutschen Stiftungen wagte, die wiederum mit dem Armenian Centre for Contemporary Experimental Art (ACCEA) in fruchtbare Kontakte traten. Die Stipendien sollten eine Studienreise von je zwei Monaten ermöglichen. Eine Jury nominierte unter den Bewerbungen die sorbische Künstlerin Sophie Natuschke und den Hallenser Zeichner Florian Bielefeldt. Die Erträge dieser Reise werden 2007 sowohl im ACCEA Jerewan als auch anschließend in den jeweiligen Bundesländern ausgestellt.

Reisen ist immer schön. Aber nicht immer unbeschwerlich. Heinrich Theodor Wehle hat sich von der Exkursion in den Kaukasus nie wieder erholt und starb im Alter von 26 Jahren. Seine künstlerische Hinterlassenschaft jedoch ist reich und wurde 200 Jahre später zum Ausgangspunkt für verschiedene Fragen, die heute nach Armenien reisende Künstler beschäftigen mussten. Wie hat sich der Charakter der Landschaft erhalten oder verändert? Was bedeutet das zeichnerische Erbe Wehles, was bedeutet also eine bestimmte, der aufsteigenden Romantik verpflichtete Naturauffassung für heutige Augen vor dem gleichen Motiv? Anders gefragt: Lassen sich tradierte Konstruktionsweisen gegenüber dem Sichtbaren, zumal wenn es etwas Fremdes ist, in eine Korrespondenz zum heutigen Sehen bringen? Was hieße es dann, betrachtenden Nachvollzug des Gewesenen und zeichnerische Aneignung des Vorgefundenen in einer persönlichen Auffassung zu versöhnen? Jetzt?

Sophie Natuschke und Florian Bielefeldt wurden in Armenien durch die Gastgeber liebevoll auf Wege geführt, die Wehle damals beschritten haben muss. Aber das Instrumentarium der reisenden Reflexion ging, wenig überraschend, bei beiden dennoch weit auseinander. Während sie unentwegt vor Ort und in großer Unmittelbarkeit zeichnete, wich er in ein bildnerisches Speicherverfahren aus, das ihm den größtmöglichen Abstand zum Gesehenen erlaubte: Er fotografierte auf der Spurensuche Gegenden, Menschen, Motive – und ließ die Stifte eher liegen. Die unterschiedlichen Methoden, Nähe in der Ferne herzustellen, führte zu Hause jedoch wieder zu völlig divergierenden Verfahren der künstlerischen Verarbeitung. Während Sophie Natuschke ihre Skizzen in Cyanotypien umsetzte, verfremdete sie auch das Unmittelbare ihrer visuellen Erfahrung, die sie vor Ort gemacht hatte, in eine aufgelöste Zeichenwelt von hoher innerer Geschwindigkeit und Naturferne. Florian Bielefeldt dagegen zeichnete mit unendlicher Akribie an einem Kompilationssystem widerstreitender Bild- und Blickpunkte, die sich zu Kompositionen von großer Dynamik und Energie, von innerer Verschränktheit, in harten Brüchen und Schnitten verdichteten. Die konzeptionellen Voraussetzungen beider Stipendiaten wie deren Bildreferenzen an die Reise könnten unterschiedlicher nicht sein. 

Beide Arbeitsweisen jedoch führten andererseits, und das ist das Gemeinsame, zu tourismusfernen Aussagen über die Begegnung mit einer unbekannten Landschaft und Kultur. Die Relation zwischen Erlebnis und Ergebnis zeugt bei beiden von reueloser Unabhängigkeit des Gestaltens, weil sich Fremde anders nicht nahe bringen lässt. Man könnte auch sagen: Sie transferierten ihr Sehen in ein Denken, das ausgearbeitet vorlag. Armenien in den Zeichnungen zu finden, heißt deshalb für den Betrachter zuerst, sich der jeweiligen Bildfindungsstrategien der Stipendiaten zu vergewissern, um eine Erfahrung zu teilen, die sich aus dem Motiv allein nicht mitteilt. 

Was so abgehoben, modern, abstrahiert und eigenbezogen klingt, denn Panoramen und Prospekte der Landschaft findet man ja nicht, unterscheidet sich bei näherem Hinsehen aber von den Methoden Heinrich Theodor Wehles überraschend wenig. Nicht nur, weil die Romantik um 1800 die Wiege jener Moderne war, die Künstler heute wieder zu Grabe tragen. Sondern vor allem, weil auch Wehle schon die Landschaft einem selektiven Sehen, einem vorher festgelegten Blicken und bestimmten Herrichtungsprinzipien für das, was ihm ein Bild war, unterworfen hatte. Ihn bewegte in der Wildnis zwischen Gebirge, Wasserfall und Tal, zwischen Karst und Öde, Tiefenaussicht und Verbliebenheit der Schöpfung doch zuerst jenes Paradoxon, das man die Idealität des Wüsten, des Unkultivierten, des Ursprünglichen nennen muss. Ihm wie allen Reisenden, damals wie heute, war klar, dass sich die Spannung zwischen unmittelbarer Erfahrung und geistiger Absicht nur durch Konstruktionsverfahren der Kunst mitteilen lässt. Information über das Unbekannte einer Weltgegend und Formation des Sehens aus den Wurzeln der eigenen Kultur gingen ineinander über. Was man bei Wehle zu sehen bekommt, ist nicht, was er sah, sondern was man sehen soll. 

Nicht anders bei den Zeichnern heute. Sie setzten die Landschaft ihren Augen aus. Das heißt, für sie waren Weg und Steg, Blickpunkt und Motiv nichts als das Material zur Umkreisung einer Erfahrung, die sie an sich selber machten, während sie sich einer gezielten Begegnung aussetzten. Der Ertrag dieser Stipendiaten-Exkursion liegt also in der minimalen, aber umso aussagefähigeren Differenz zwischen dem, was die Künstler an Vorgewusstem nach Armenien mitbrachten und im Vorgefundenen, das sich zu Hause als Neues aktivieren ließ. So wie Wehle das akademische Kompositionsschema einer »schönen Ansicht« bestätigte, indem er es vor der wilden Aussicht vorsichtig durchbrach, haben Sophie Natuschke und Florian Bielefeldt die Ausarbeitung ihrer Bildstrategien in Armenien bestimmten Einsprüchen ausgesetzt, die für sie zu unverhofften Perspektiverweiterungen führten. Und man darf gespannt sein, wohin die weitere Auseinandersetzung mit diesem Erlebnis führen wird.

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