„WIR SIND KUNST“ – von Rauch bis Fromm über Allstedt bis nach Zörbig
Jubiläumsausstellung zeigt über 150 Porträts geförderter Kunstschaffender und zieht Bilanz über 20 Jahre Kunstförderung in Sachsen-Anhalt

20 Jahre Kunststiftung Sachsen-Anhalt – das entspricht fast 3.000 Anträgen für Arbeitsstipendien und Projektförderungen, 604 Künstlerinnen und Künstlern, die während Arbeitsstipendien Ideen realisierten, 489 unterstützten Projekten, 117 Sonderstipendien für Entdeckungen in nah und fern und165 Beihilfen zur Präsentation von bildender Kunst und Filmen. Auf diese beeindruckende Bilanz blickt Stiftungsdirektorin Manon Bursian zurück: „Sachsen-Anhalt ist ein Kernland deutscher Kultur mit weltweiter Ausstrahlung – von Luther bis zum Bauhaus. Unser Ziel ist es zu zeigen, dass es auch eine zeitgenössische Seite gibt. Deshalb fördern wir Künstlerinnen und Künstler aus unserem Bundesland, konzentrieren uns dabei aber nicht nur auf die großen Städte, sondern blicken auch in die Schatzkammern der ländlichen Regionen.“
Zum Jubiläum präsentiert die Stiftung erstmals eine Ausstellung, die sich ausschließlich dem Thema Selbstporträt widmet. Künstlerinnen und Künstler, die über die Jahre hinweg von der Stiftung begleitet wurden, waren eingeladen, ein Selbstbildnis beizusteuern. In der Ausstellung „WIR SIND KUNST“, die vom 22. September bis zum 17. November 2024 im Neuwerk 11 stattfindet, sind nun über 170 dieser Beiträge zu sehen.
Das „Ich“ als Kunstwerk
Selbstporträts haben über die Jahrhunderte hinweg nichts von ihrer Faszination eingebüßt, weder für Künstler noch für Sammler und Betrachter. Sie werfen stets Fragen auf wie: Was offenbart der Künstler über sich? Wie sieht er sich selbst und wie stellt er sich dar? Welche Absichten verfolgt er damit? Selbstbildnisse dienen als Medium der Selbstreflexion und -darstellung. Diese persönlichen Porträts sind nicht nur ein Abbild ihrer Schöpfer, sondern beleuchten auch gesellschaftliche und politische Fragen ihrer Zeit aus der jeweiligen Perspektive.
Jubiläumsausstellung WIR SIND KUNST
Die Werke der Ausstellung „WIR SIND KUNST“ sind in einer Vielzahl von Medien und Techniken ausgeführt, darunter Malerei, Grafik, Fotografie, Textilkunst, Bildhauerei, Schmuck, Film oder auch als literarische Selbstbetrachtungen. Hier treffen Youngster auf Routiniers, Muttermilch auf Spraydose und aufsehenerregende Kunstpositionen auf traditionelle Annäherungen. Die nachfolgenden Kurzvorstellungen sollen diese Bandbreite veranschaulichen:
Nora Mona Bach – „Proprium [spektral/sic!]“, 2024, Kohle und Pastell auf Papier / Cutout, ca. 290 x 250 cm (Maße variabel)
Die Grafikerin Nora Mona Bach, Teilnehmerin am HEIMATSTIPENDIUM 2020/2021, arbeitet vorwiegend mit Kohle und Kreide. Ihr Kunstwerk „Proprium [spektral/sic!]“ gehört mit seinen Abmessungen zu einer der größten Arbeiten innerhalb der Ausstellung. Zur Entstehung sagt Nora Mona Bach: „Das Erstellen eines Selbstbildnisses ist mir massiv schwergefallen, bis ich den Gedanken an ein tatsächliches Porträt im Sinne des Sujets an den Nagel gehangen habe, um das zu machen, was mich in meinem Atelier bewegt und beschreibt: Dreck, Materialdichte, Zeit, Kohlenstaub, Prismen, Lichtbänder, atmosphärisch-optische Phänomene, Grauwerte, Gestus, direkter expressiver Ausdruck und feine lyrische Zwischentöne. Als entschieden war, dass das alles viel eindeutiger mir zugeschrieben ist als eine sehr schöne artige Cyanotypie-Collage meiner Selbst, war alles plötzlich sehr schlüssig und unstreitbar.“ Dem aufmerksamen Betrachter wird es sicher nicht schwerfallen, das versteckte Abbild der Künstlerin zu entdecken
Simon Baumgart – Installation „Composition is more important than anatomy“, 2024, Mixed Media, Maße variabel
Simon Baumgart, welcher im Sommer 2023 ein Internationales Arbeitsstipendium der Kunststiftung in New York hatte, steht stellvertretend für ein außergewöhnliches, fast radikales Kunstverständnis. Seine Arbeiten im Allgemeinen umkreisen die Gegenwart eines Körpers (eines lebenden oder eines gebauten) und die physische und mentale Erfahrung dieses körperlichen Gegenübers. Innerhalb der Ausstellung „WIR SIND KUNST“ gestaltete er eigens eine große Nische mit seiner Installation „Composition is more important than anatomy“.
Marc Fromm: „Burni“, 2024, Nadelholz, 195 x 74 x 52 cm
Der Holzbildhauer Marc Fromm gehört zu den bekanntesten Künstlern in Sachsen-Anhalt und erhielt bereits mehrfach Arbeitsstipendien der Kunststiftung. Von der Saalestadt aus führte ihn sein Weg in die Welt, unter anderem nach Frankreich, Portugal, in die Schweiz und in die USA. Seine populäre Kunst wurde bereits zweimal auf der Biennale in Venedig ausgestellt, und seine berühmte „Laborantin“ war im Bundesrat zu sehen. Für die Ausstellung „WIR SIND KUNST“ fertigte Fromm eine lebensgroße Holz-Skulptur an, die er anschließend abbrannte. Ursprünglich aus Nadelholz gehauen, stellt die nun holzkohle-artige Figur die Frage nach dem Existentiellen im Künstlerdasein. Zudem wird im Garten der Kunststiftung das „Laufband“ mit einer Installation von Winkekatzen zu sehen sein.
Friederike von Hellermann: „Me“, 2024, Pochoir auf Büttenpapier, Unikat, 76 x 56 cm
Die in Halle lebende Buchkünstlerin Friederike von Hellermann kann, neben ihrer Teilnahme am deutschlandweit einzigartigen HEIMATSTIPENDIUM, auch auf eine Vielzahl anderer Stiftungs-Stipendien zurückblicken. Zuletzt erhielt sie den „Judges‘ Choice Award“ auf der Oxford Fine Press Book Fair 2023 für ihr „BILINGUALes ANIMALisches ALPHABET“, welches im Rahmen eines Arbeitsstipendiums der Kunststiftung entstanden ist. Ihr verspieltes Selbstbildnis „Me“ schaffte es zum Kampagnenmotiv der Ausstellung „WIR SIND KUNST“.
Murat Haschu: „Bauchgefühl“, 2024, Installation, handgetufteter Teppich, Wolle, 275 x 180 cm und Monitor mit Animationsfilm (2 min.)
Eine textile Installation mit dem Titel „Bauchgefühl“ ist der Beitrag des aus Russland stammenden Medienkünstlers Murat Haschu. Bestehend aus einem beeindruckenden handgetufteten Teppich in dessen Mitte ein Monitor einen Animationsfilm zeigt, erinnert sie an eine Graffitiwand aus Wolle. Haschu, der bereits mit mehreren Arbeitsstipendien, auch innerhalb des wage-mutig Kurzfilmprogramms, von der Stiftung unterstützt wurde, arbeitet gern an einem vorgegebenen Thema: „Mich selbst zum Inhalt der Kunst zu machen, fällt mir nicht schwer. Die Fähigkeit, selbstironisch zu sein finde ich sehr wichtig.“
Julia Schleicher: „Selbstporträt“, 2024, Beton, Gips, Keramik, Höhe 160 cm
Die Aufgabe, ein Selbstbildnis anzufertigen, stellte für die figürliche Bildhauerin Julia Schleicher anfangs eine große Herausforderung dar. „Ich habe ein Porträt stets nicht als bloßes Abbild verstanden, sondern als ein Bildnis, das eine innere Haltung zum Ausdruck bringt. Erfahrungsgemäß fällt mir das leichter bei fremden Personen. Da war ein Selbstporträt bisher eine für mich schwer zu bewältigende Aufgabe. Was mir einige Jahre nicht gelungen ist, ging mir nun seltsamerweise gut von der Hand und hat mir viel Freude bereitet. Ich habe gemerkt, wie Eitelkeit auf der Strecke geblieben ist und dass ich mir ehrlich begegnen konnte. Das gibt Selbstbewusstsein, welches offenbar wichtig ist für die Schaffung eines Selbstporträts.“
Lisa Reichmann: „Vielleicht bin das ich“, 2024, Handstickerei, Baumwolle auf Taschentuch (12 x 12 cm) auf Gewebe (30 x 24 cm)
Eine vergleichsweise kleine Arbeit stammt von der Textilkünstlerin Lisa Reichmann. Ihr Selbstbildnis mit dem Titel „Vielleicht bin das ich“ wurde liebevoll per Hand gestickt. Lisa Reichmann wird im Mai 2025 anlässlich des Gedenkjahres „500 Jahre Bauernkrieg und Todestag Thomas Müntzers“ Teilnehmerin am Kunstparcours in Allstedt sein.
Jubiläumsausstellung WIR SIND KUNST
22. September bis 17. November 2024
Mi – So + feiertags 14–18 Uhr
Eintritt 5 €, ermäßigt 2 €
Kunststiftung Sachsen-Anhalt
Neuwerk 11 – 06108 Halle (Saale)
Seitenweise Sachsen-Anhalt: MONOPOL-Sonderheft zum Jubiläum
Anlässlich der Feierlichkeiten zum Stiftungsjubiläum erscheint ein Sonderheft des renommierten Kunstmagazins MONOPOL. Auf 36 Seiten können sich Lesende auf eine Zeitreise innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte begeben, Kunstschaffenden bei Atelierbesuchen über die Schulter schauen, mit Auslandsstipendiatinnen den Blick über den Tellerrand schweifen lassen und begehrenswerte große und kleine Kunstwerke kennenlernen. Das Heft liegt zum Mitnehmen in den Ausstellungsräumen aus.
Von Lesung bis zu Kinderkunst: Begleitprogramm
Die Ausstellung WIR SIND KUNST wird durch ein umfassendes und vielseitiges Begleitprogramm ergänzt. So wird es eine Lesung der Schriftsteller-Porträttexte mit dem Schauspieler Jens Harzer, einen wissenschaftlichen Vortrag von Dr. Katja Kleinert (stellvertretende Direktorin und Kustodin in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin) und einen Kinderkunstnachmittag geben. Die beiden Schriftsteller Martin Becker und Jaroslav Rudiš wagen in der „Diskursreihe Ost“ den Blick über die Grenzen Ostdeutschlands und versuchen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer eigenen Transformationserfahrungen herauszuarbeiten. Zum Ende des Ausstellungszeitraumes wird es bewegt, wenn das DJ-Duo Super Flu die Besucherinnen und Besucher zur Kunst werden lassen. Mit dabei ist der Fotograf Matthias Ritzmann, welcher die Gäste fotografisch in Szene setzt. Geführte Ausstellungs-Rundgänge runden das Programm ab.






