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Zwei spektakuläre Glaskunst-Ausstellungen in der Kunststiftung

„wasser und wein“ und „GANZ AUS GLAS“ vom 26. Februar – 10. April 2023

Robust aber formbar. Kunstwerk und zugleich Gebrauchsgegenstand. Gäbe es kein Glas, müsste es erfunden werden. Seit vier Jahrtausenden begleitet das durchsichtige, fragile und dennoch haltbare Material die Menschen durch den Alltag. Doch nicht nur dort findet es tagtäglich Anwendung. Auch die Kunstgeschichte hat dieser Werkstoff geprägt. Die traditionelle Glasherstellung, welche 2015 von der UNESCO als „Immaterielles Kulturerbe“ geadelt wurde, fasziniert die Menschen bis heute und das, obwohl sie eines der ältesten Handwerke der Welt ist.

Mit seinen facettenreichen Gestaltungsmöglichkeiten ist Glas wohl einer der abwechslungsreichsten, aber auch einer der schwierigsten Werkstoffe in der künstlerischen Produktion. Unter Glas („glasa“ aus dem Germanischen für Bernstein) versteht man einen amorphen Feststoff. Thermodynamisch wird Glas als unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet. Die besondere ästhetische Wirkung von Glas entsteht aus seinen Eigenschaften wie Transparenz, Farbigkeit und Formbarkeit. Glas ist wandelbar und passt sich gut an die Funktion eines bestimmten Gegenstandes an. In Sachsen-Anhalt assoziiert man Glas aber nicht nur mit Haushaltsprodukten, sondern auch mit künstlerischen Arbeiten. Neo Rauch und Max Uhlig haben faszinierende Kirchenfenster in Naumburg und Magdeburg gestaltet. Sie knüpften damit an Bauhäusler wie Josef Albers oder Paul Klee an, die in der Werkstatt für Glasmalerei vor allem Fensterbilder schufen. Auch die Kunsthochschule Burg Giebichenstein hat sich in die Glasgeschichte der Moderne mit legendären Künstlern und Designern eingeschrieben.

Aus diesem Grund widmet sich die Kunststiftung Sachsen-Anhalt mit zwei spektakulären Ausstellungen dem Werkstoff Glas in all seinen künstlerischen Facetten und mit all seinen Potenzialen. Ein Ausstellungsteil zeigt den von der Staatskanzlei und dem Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt und der Kunststiftung im Jahr 2020 initiierten Glaskunstwettbewerb „Weltkulturerbe trifft auf Immaterielles Kulturerbe“. Der Wettbewerb war von Kreativität, Freude und der großen Kulturgeschichte Sachsen-Anhalts durchdrungen und sollte zeigen, wie Künstler heute Glasobjekte für den Alltag gestalten. Die Philosophie der Teilnehmenden, Aneta Koutná, Johannes Nagel, Sebastian Richter, Judith Runge und Julia Schleicher, war es, Objekte zu entwerfen und zu produzieren, die atmosphärisch und alltagstauglich gleichermaßen sind. Unter Anleitung des renommierten Glasmachers Peter Kuchinke setzten sie in der Glasmanufaktur Harzkristall Derenburg ihre Entwürfe um. Entstanden sind Vasen, Schalen und Dosen. Mit dem Schalenset „Outline“ gewann Aneta Koutná den Glaskunstwettbewerb. In der Ausstellung werden die entstandenen Werke samt Gussformen präsentiert.

Mit der „Glasmanufaktur Harzkristall“ hat das Land Sachsen-Anhalt eine der wenigen noch produzierenden Glashütten in Deutschland. 1949 von sudetendeutschen Glasmachern gegründet, ist sie die nördlichste der Bundesrepublik. Zwischen der Glasmanufaktur und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle existiert eine lange Geschichte der Kooperation. So können sich Studenten aus dem Studiengang „Bild Raum Objekt Glas“ eingehend mit dem künstlerischen Material befassen. Dieser Austausch ist tief in der Geschichte des Kunsthandwerks des Landes verwurzelt. So war es beispielsweise das Bauhaus Dessau, an dem innovative Glasgegenstände entworfen, entwickelt und umgesetzt worden. Das Weltkulturerbe des Landes Sachsen-Anhalt trifft dabei auf das immaterielle Kulturerbe Glas, ganz nach dem Motto der Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt, die selbst mit dem Werkstoff arbeitete – „Ich bin ganz von Glas“.

Die zweite Ausstellung „wasser und wein“ zeigt hingegen die Ergebnisse des Projektes „glass – hand formed matter“, das von der weißensee kunsthochschule berlin initiiert und von Partnern in Deutschland – u.a. von der Kunststiftung Sachsen-Anhalt –, Finnland und Schweden unterstützt wird. In dieser Schau spielen das Glas, der Prozess der Glasherstellung und der künstlerischen Gestaltung die Hauptrolle. Das internationale, von Hochschulen, Glashütten und Kulturinstitutionen wie der der Kunststiftung Sachsen-Anhalt getragene Projekt, das durch die Kulturstiftung des Bundes und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird, will neue Perspektiven für die manuelle Glasherstellung in Deutschland und Europa ausloten. Sie reichen von Glasgefäßen, die den Wert von Wasser thematisieren, sich mit seinen ästhetischen Qualitäten auseinandersetzen und sein Fließen inszenieren über solche, die die sensorischen Aspekte des Weintrinkens untersuchen bis hin zu Prozessexperimenten mit Glas und digitalen Techniken. Einige Objekte inszenieren „durstige Produkte“, also den Wasserfußabdruck unserer industriellen und landwirtschaftlichen Produktion.

Studierende mehrerer Kunsthochschulen im In- und Ausland sowie junge Designerinnen und Designer und Künstlerinnen und Künstler haben sich intensiv mit den Faktoren auseinandergesetzt, die die Form von Trinkgläsern definieren: Produktionstechniken, ästhetische Maßstäbe, kulturell geprägte Vorstellungen und die Geschmacksphysiologie des Trinkens. Gezeigt werden neben den Glasobjekten auch Filme, Materialien aus den Entwurfs- und Herstellungsprozessen sowie historische Artefakte, die die Glasherstellung erfahrbar machen. Glasmacher, Künstler, Designer und Studierende aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie aus Finnland und Schweden wurden miteinander vernetzt, um gemeinsam das jahrtausendealte Handwerk der Glasherstellung neu zu interpretieren und weiterzuentwickeln. In Auseinandersetzung mit analogen und digitalen Werkzeugen sowie mit aktuellen inhaltlichen Fragestellungen suchten sie in zahlreichen Workshops und Künstlerresidenzen an den beteiligten Glashütten nach innovativen ästhetischen, funktionalen und nachhaltigen Lösungen.

Die Video-Arbeit der Multimedia-Künstlerin Anette Rose ist eine Hommage an die Fähigkeiten von Glasmacher/innen und das implizite Wissen des Handwerks. Sie fügte ihrer Werkserie Enzyklopädie der Handhabungen ein Modul Glasmachen hinzu, in dem sie die Bewegungsabläufe bei der Entstehung eines Glasobjekts sichtbar macht, nach Vorstudien in der Glasmanufaktur Harzkristall, der Elias-Farbglashütte Lauscha und der Baruther Glashütte produziert in der Glass Factory in Boda, Schweden.

Mit der Migrationsgeschichte der sudetendeutschen Glasarbeiter und dem Einfluss ihrer Handwerkskunst auf die deutsche Glasindustrie in Sachsen-Anhalt (Glasmanufaktur Harzkristall) und Brandenburg (VEB Gablona Modeschmuck) beschäftigt sich die Schwedin Ingela Johansson in der künstlerischen Forschungsarbeit Cut out Colliers, die in Form einer Installation mit Videos und Glasobjekten gezeigt wird. Sie erzählt eine Geschichte über böhmischen Modeschmuck und traditionelle Glastechniken in Verbindung mit antifaschistischen Handwerksgenossenschaften.

 

Zu beiden Ausstellungen kann ein begleitender Katalog erworben werden. Zudem vermittelt Illustratorin Lucie Göpfert mit einer Postkarten-Serie für Kinder und Jugendliche den Weg von der Idee zum Glasobjekt.

„wasser und wein“ und „GANZ AUS GLAS – Weltkulturerbe trifft auf Immaterielles Kulturerbe“ vom 26. Februar – 10. April 2023, geöffnet Mi–So & feiertags von 14–18 Uhr

Eintritt 5€, ermäßigt 2€

 

Zur Eröffnung der Ausstellungen am Samstag, den 25.Februar 2023, um 15 Uhr sprechen: Dr. Gunnar Schellenberger, Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt | Manon Bursian, Direktorin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt | Prof. Barbara Schmidt, weißensee kunsthochschule berlin | Otto Sievers, Geschäftsführer der Glasmanufaktur HARZKRISTALL GmbH Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt Neuwerk 11, 06108 Halle (Saale)

Die Ausstellungen werden begleitet von einem umfangreichen, in enger Zusammenarbeit zwischen der weißensee kunsthochschule berlin und der Kunststiftung Sachsen-Anhalt entwickelten Vermittlungsprogramm:

Führungen für Kinder
Sa., 18. März / Mi., 5. April 2023
jeweils von 14:30–15:30 Uhr
Was ist Glas? Wo und wie werden Trinkgläser hergestellt?
Wie hängen Materialität und Trinkgenuss zusammen?
Führung mit Kunsthistorikerin Lena Angelstein
Treffpunkt in der Ausstellung, Anmeldung nicht erforderlich

Weinverkostung „Wein, Wasser und Glas“
Fr., 3. März 2023 von 17:30–19:30 Uhr
Weinverkostung mit lokalen Weinen vom Weingut Born
Im Anschluss Führung und Gespräch mit Kuratorin Prof. Barbara Schmidt
Anmeldung unter wolf@kh-berlin.de,
spontane Gäste sind herzlich willkommen

Artist-Talk „glowing matter“
Mo, 3. April 2023 von 17–18 Uhr
Künstlerinnengespräch mit Künstlerin Anette Rose
Anmeldung unter wolf@kh-berlin.de,
spontane Gäste sind herzlich willkommen

Kuratorinnenführung
Mo., 10. April 2023 von 15–16 Uhr
Prof. Barbara Schmidt führt durch die Ausstellung „wasser und wein“
keine Anmeldung erforderlich

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15. Februar 2023

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